Auf den Festivals „Fusion“ und „Monis Rache“ wurde in Toiletten und Duschen gefilmt, die Spannervideos landeten auf Porno-Plattformen. Auch andernorts nehmen solche Übergriffe zu.
Spiegel Online
Februar 2020
Die Kamera ist im Inneren des Dixi-Klos angebracht, filmt die Person, die das Klo betritt, ihr Gesicht und was sie trägt, wie sie sich die Hose oder den Rock runterzieht, sich der Schüssel nähert, pinkelt, das Tampon wechselt. Im Hintergrund tönt Techno. Solche Videos waren online, manche sind es noch. Die Frauen und Queers, die auf den Aufnahmen zu sehen sind, tragen ein Bändchen am Arm, das Bändchen des Festivals „Monis Rache“.
Ein Mitarbeiter hat die Videos 2016 und 2018 jeweils während des dreitägigen Raves in Tutow, nahe Berlin, mit Mini-Kameras erstellt und sie im Anschluss über die Porno-Plattform xHamster verbreitet und verkauft, wie eine Recherche des NDR zeigt. Dank des Bändchens konnte das Festivalteam informiert und der Mitarbeiter identifiziert werden.
Der zweite Fall, der gerade bekannt wurde, betrifft erneut ein Festival: Vor drei Tagen informierten die Betreiber des „Fusion Festivals“, dass auch bei ihnen „Spannervideos“ erstellt wurden, in Duschen. Auch sie landeten auf der Porno-Webseite xHamster. Hunderte Frauen und Queers sind nun möglicherweise beim Gang auf die Toilette bei „Monis Rache“ oder beim Duschen auf dem „Fusion Festival“ gefilmt worden.
Doch das Phänomen der „Spannervideos“ betrifft unzählige Menschen mehr – es ist eine Form der Gewalt, die sich weltweit verbreitet, überall da, wo es Internet und neuerdings diverse kleine käufliche Kameras gibt. Immer mehr Frauen und Queers finden sich ohne ihr Wissen auf Porno-Plattformen wieder, sagt Ans Hartmann vom Projekt „Aktiv gegen digitale Gewalt“, das zum Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland gehört.
Das Phänomen ist nicht auf Festivals beschränkt: In Toiletten von Raststätten, in Duschen von Schwimmbädern und Fitnessstudios, in Solarien und Umkleiden von Kaufhäusern wird heimlich gefilmt.
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Der gesetzliche Druck fehlt
xHamster ist die meistbesuchte Porno-Website Deutschlands und bietet unter der Kategorie „Hidden Camera“ Hunderte Videos an, die offensichtlich nicht inszeniert sind, auf denen also eine Kamera so in einer Dusche oder einer öffentlichen Toilette angebracht ist, dass sie stundenlang verschiedene Frauen und Queers bei ihren intimsten Tätigkeiten aufnimmt. Eines dieser Videos wurde über eine Million Mal aufgerufen.
xHamster veröffentlichte letztes Jahr Bilder von Frauen, die heimlich in einem Göttinger Spa gefilmt wurden. Die User der Plattform beraten sich gegenseitig, wo sie Kameras anbringen, wie sie etwa auch in privaten Räumen „Schwestern, Freundinnen, Mütter“ beim Umziehen filmen können.
Südkorea ist das einzige Land, in dem das Phänomen der „Spannervideos“ bereits breiten Protest veranlasste. Hierzulande kam es trotz einer umfangreichen Recherche der „Zeit“ 2017 bislang kaum zu größeren öffentlichen Diskussionen. Eher noch tauchte der sogenannte „Revenge Porn“ in den Schlagzeilen auf, also Fälle, bei denen Ex-Partner intime Bilder ohne Absprache ins Netz stellen. „Das ist kein Porno, das ist Gewalt“, sagt Hartmann dazu.
Gewalt ist auch die Verbreitung von Bildern oder Videos, die ohne Einverständnis der darauf Abgebildeten aufgenommen wurden – und die ist strafbar. Laut Paragraf 201a StGB stellt die heimliche Aufnahme und Verbreitung von Toiletten- und Dusch-Videos eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches dar. Tätern würden bis zu zwei Jahre Haft drohen. Aber: Nur wenn die Betroffenen Anzeige erstatten. Die jedoch wissen meist von nichts. Und auch die Plattformen löschen Videos nur, wenn die darauf Abgebildeten sich beschweren. Wenn Dritte ein Video melden, so zeigt eine Recherche von „Vice“, bleibt es meist online: Die Plattformen antworten, sie wüssten nicht, ob es nicht doch einvernehmlich erstellt wurde.
Es gibt freilich etliche „Hidden Camera“-Videos, die inszeniert sind, in denen die Darstellerinnen beim Arzt, bei der Massage oder bei einem Vorstellungstermin nur vermeintlich nicht wissen, was passieren wird. Um das Einverständnis der Abgebildeten zu überprüfen, könnten Betreiber aber zum Beispiel ganz einfach zur Bedingung machen, dass etwa ein zusätzlicher Clip hochgeladen wird, in dem die dargestellten Personen eine kurze Botschaft hinterlassen.
Doch hier fehlt der gesetzliche Druck: Seiten wie xHamster und auch Pornhub, zwei der größten Porno-Webseiten der Welt, machen aktuell Geld damit, dass ihre Nutzer gern Videos schauen, bei denen Frauen und Queers gegen ihren Willen aufgenommen wurden. „Not a single one of these girls know they are being filmed. That makes it so much more dirty!“, wirbt etwa die Seite showerspycameras.com, zu der xHamster weiterleitet.
Das Bundesjustizministerium gibt auf Nachfrage an, man sei mit dem Phänomen noch nicht häufig konfrontiert gewesen und verweist auf die bestehenden Gesetze. Nicht nur das Strafgesetzbuch, auch die Datenschutzgrundverordnung der EU würde greifen. Zudem könnten und sollten sich Betroffene zivilrechtlich wehren, durch Unterlassungs-, Löschungs- und Schmerzensgeldansprüche. Damit liegt die Verantwortung der Aufklärung aber weiterhin bei den Opfern.
„Das Problem ist, dass diese Gewalt nicht geächtet wird“, sagt Hartmann vom Projekt „Aktiv gegen digitale Gewalt“. In ihr spiegle sich ein gesellschaftliches Klima: Dass es normal ist, dass Körper von Frauen und Queers verfügbar sind. Die Polizei reagiere oft verständnislos, wenn Betroffene sich melden und Anzeige erstatten wollen.
Dagegen gibt es jetzt zum ersten Mal in Deutschland Proteste. In Berlin planen Betroffene, die beim Festival „Monis Rache“ waren, für kommenden Freitag eine Demonstration gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt — orientiert an den Protesten in Südkorea unter dem Motto „My body is not your porn“: Für eine Welt, in der alle Menschen selbst bestimmen, ob und mit wem sie Sex haben möchten, ob sie mit dem eigenen Körper oder erotischen Dienstleistungen Geld verdienen wollen, wie es im Aufruf heißt. Und weiter: „Aus unserer Verletzung wird Wut, aus unserer Angst Solidarität.“