Manon Garcias Buch „Wir werden nicht unterwürfig geboren. Wie das Patriarchat das Leben von Frauen bestimmt“ zeigt, wie tief die Objektivierung und Abwertung von Frauen in den vermeintlich freien Gesellschaften verankert ist
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Juli 2021
Wie kommt es, dass nur etwa zehn Prozent der Frauen, die in Deutschland und auch in Frankreich Opfer einer Vergewaltigung werden, Anzeige erstatten? Dass jede vierte Frau Gewalt durch ihren Partner erfährt und dass die meisten von ihnen in den gewaltvollen Beziehungen bleiben? Dass Frauen im Jahr 2021, selbst wenn sie gleichermaßen berufstätig sind, für ihre Männer kochen, waschen und sich allein um die gemeinsamen Kinder kümmern? Warum machen die Frauen das (mit)?
Auf diese Fragen will die französische Philosophin Manon Garcia mit ihrem Buch „Wir werden nicht unterwürfig geboren. Wie das Patriarchat das Leben von Frauen bestimmt“ antworten – und sie macht es, das legt der Titel schon nahe, mit dem Verweis auf die patriarchale Ordnung, die unser Zusammenleben weiterhin strukturiert. Garcia setzt den Fokus dabei auf die Frage nach der Unterwerfung, nach dem Akt, mit dem diejenigen, die zu Frauen gemacht werden, selbst zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung beitragen. Und allein diese Formulierung zeigt das komplexe Zusammenspiel aus Passivität und Aktivität, aus Struktur und Handlung, Gesellschaft und Individuum, das letztlich dazu führt, dass einzelne Frauen sich Männern unterwerfen, ohne dafür aber moralisch verantwortlich zu sein.
Zunächst ist Garcia die Definition der Begrifflichkeit wichtig, die sie präzise vornimmt mit Bezügen zu herrschaftskritischen Theoretikern wie Marx und Foucault: In jedem Verhältnis zwischen einzelnen Menschen oder zwischen Gruppen bestimme der Grad der Herrschaft, ob sich überhaupt von Unterwerfung sprechen lasse. Wenn die Herrschaft auf purer Gewalt basiere, unterwerfe sich niemand, dann gäbe es keine Wahl. Doch hier und jetzt, also in Frankreich, wo Garcia schreibt, und in anderen „westlichen“ Ländern, auf die sie sich bezieht, gibt es für die meisten Frauen formal betrachtet eine Wahl, und das mache das Thema umso interessanter.
Interessant sind dann auch die Thesen, die Garcia in diesen ersten Kapiteln einstreut, wie etwa, die heterosexuelle Paarbeziehung sei der Paradeort der Unterwerfung der Frauen schlechthin, in lesbischen Beziehungen gäbe es keine ungleiche Verteilung in der Hausarbeit. Sie wechselt allerdings schnell von den gegenwärtigen Phänomenen zur Relektüre von Simone de Beauvoirs berühmten Werk „Das andere Geschlecht“. Denn: Niemand habe bislang so erhellend über die Formen der Unterwerfung, der Objektivierung der Frauen und ihrer Körper geschrieben wie Beauvoir, deren Gedanken etwa immer noch in soziologischen Studien über die Belästigung von Mädchen auf der Straße herangezogen würden. Und die Aussagen, die Garcia mit Bezug auf Beauvoir trifft, über das Leid junger Mädchen, „das durch die Erfahrung eines Körpers, genauer gesagt eines Fleisches hervorgerufen wird, das immer schon als Objekt der Begierde konstruiert ist“, oder über die Versuche der Frauen, „sich durch ihre physische Erscheinung auszuzeichnen“, was sie in „eine endlose Abhängigkeit von einem Blick von außen stürze“, vom männlichen Blick, sind auch alle noch richtig.
Doch gleichzeitig ignoriert die Autorin durch den Fokus auf Beauvoir manch gegenwärtige Entwicklung und manch wichtigen Bezug, zum Beispiel auf die Arbeiten jüngerer feministischer Autorinnen wie Laurie Penny oder Margarete Stokowski, die ebenfalls sehr aufschlussreich über die Objektivierung derer schreiben, die als Frauen gelten.
Mit Beauvoir erläutert Garcia vor allem zwei Gründe für die Fortdauer der (Selbst-)Unterwerfung von Frauen: Erstens seien jene Körper, die gebärfähig sind, dem Erhalt der Spezies mehr untergeordnet als die nicht-gebärfähigen und diese körperliche Erfahrung mache etwas mit den gebärfähigen Individuen. Diese Aussage scheint biologisch deterministisch — einen solchen Determinismus weist Garcia aber zurück und betont ebenfalls mit Beauvoir, auch die körperlichen Erfahrungen ließen sich erst im Kontext der gesellschaftlichen Zuschreibungen an die Körper verstehen. Sie geht dann jedoch nicht auf jene gesellschaftlichen Kräfte und Strukturen ein, die den Zugriff auf die gebärfähigen Körper aufrechterhalten, etwa auf patriarchale Gesetze in den modernen Nationalstaaten, die weiterhin Schwangerschaftsabbrüche kriminalisieren, oder auf rechte Parteien und Gruppen, deren antifeministische Ideologie genau darauf baut, gebärfähige Körper als Mittel zur Reproduktion des Volkes zu erachten.
Genauso wenig tauchen in Garcias Buch Verweise auf die Initiativen auf, die unter dem Slogan „my body, my choice“ seit Jahrzehnten für die Wiederaneignung der Körper kämpfen, die im Patriarchat objektiviert werden. Garcia fragt nicht nach feministischen Bewegungen, nach denen, die sich wehren gegen die patriarchale Ordnung, und auch Menschen, deren Geschlechtsidentitäten jene Ordnung unterlaufen, Menschen, die etwa gebärfähig, aber keine Frauen sind, bleiben unerwähnt.
Der zweite und mit dem ersten zusammenhängende Aspekt, den Garcia mit Beauvoir als Grund für das Weiterbestehen der patriarchalen Ordnung betont, ist das Muster der heterosexuellen romantischen und sexuellen Beziehungen, das Frauen die Unterwerfung immer wieder nahelege. Die ökonomische Abhängigkeit von Männern und speziell von Ehemännern sei zwar für Frauen nicht mehr gleichermaßen gegeben wie zur Zeit als Beauvoir schrieb, und dennoch würden sie noch immer von klein auf die Unterordnung lernen, sie würden lernen, dass sie riskieren, einsam, nicht begehrt und ungeliebt zu sein, wenn sie sich Männern nicht unterwerfen. Es brauche eine Revision dieser gesellschaftlichen Geschlechternormen: „Wenn man begreift, dass die Frau ebenso wie der Mann ein Werden ist, ein historisches Wesen und nicht ein Anderes, von einer natürlichen Alterität und Unterlegenheit, begreift man die Unterwerfung auch als eine historische und nicht starre Haltung“.
Dass das noch betont werden muss, dass 2021 noch eine vermeintlich natürliche Unterlegenheit von Frauen gegenüber Männern bestritten werden muss, ist deprimierend. Dass es notwendig ist, macht dieses Buch klar. Und deshalb ist es trotz mancher Lücken von Bedeutung für die Befreiung all derer, die zu Frauen gemacht werden – für die Emanzipation aller Menschen.