Vielleicht ist es das, was feministischen Porno ausmacht:
Er zeigt Sex, in dem achtsam miteinander umgegangen wird – was nicht heißt, dass er nicht brutal sein darf.
Frankfurter Allgemeine Quarterly 12
September 2019
Sechs nackte Frauen stehen in einem leeren hellen Raum, der Boden ist mit weißen Laken bedeckt, nichts hat Bedeutung außer den Körpern der Frauen, in ihren unterschiedlichen Formen, Farben und Behaarungen. Die Frauen sprechen in die Kamera, erklären auf Spanisch und Englisch, welche Rolle Selbstbefriedigung für sie spielt, seit wann sie masturbieren und wie. Dann legen sie sich in einen Kreis auf die Laken, ihre Köpfe berühren einander, die Körper sind in den Raum gestreckt, von oben sehen sie aus wie ein Seestern. Sie beginnen sich jeweils selbst zu streicheln, zu berühren, beginnen zu stöhnen, zu zucken, zu lachen, drehen schließlich ihre Köpfe, ihre Blicke zueinander, zur Frau links, zur Frau rechts, grinsen, fangen an, nach dem Körper neben sich zu tasten, bis sie sich wechselseitig küssen, ineinander verflechten, sich verheddern und juchzen, voneinander herunterfallen und wieder aufeinanderklettern.
„Female Pleasure Circle“ heißt der Film der Regisseurin und Produzentin Erika Lust, die als Pionierin feministischer Pornos berühmt wurde. Er läuft in diesem Jahr auf verschiedenen Festivals und in ausgewählten Programmkinos und führt sehr schön vor, worum es in Erika Lusts Arbeit geht: um das sexuelle Vergnügen von Frauen, vor der Kamera und auf Seiten der Zuschauerinnen. Um die Befreiung der Lust der Frauen und um die Repräsentation dieser Befreiung – und damit geht es in ihrem Porno gleichzeitig um die Befreiung des Begehrens im Allgemeinen.
In keinem anderen Genre wird das Geschlechterverhältnis noch so einschränkend, so patriarchal, also stereotyp und hierarchisch gezeigt wie im Mainstream- Porno, wie in jenen ersten Bildern von Sexualität, mit denen Kinder und Jugendliche heute konfrontiert sind, die kostenlos auf ihren Handys laufen, in der Schultoilette oder auf dem Pausenhof. Wofür die Jugendlichen nicht nur mit ihren Daten zahlen, sondern mit ihrer Freude und ihrer Phantasie. Mädchen wie Jungen. Feministischer Porno soll sie befreien, sagt Erika Lust.
Feministischer Porno heißt nicht, dass nur Frauen mitspielen wie in „Female Pleasure Circle“. In vielen Filmen von Erika Lust stehen auch Männer vor der Kamera – und in vielen Mainstream-Pornos sind wiederum nur Frauen zu sehen. Um was geht es dann? Was ist das Feministische, das progressive Neue, das Lust erzeugt, und wie wird es produziert?
Die Schwedin, die einmal Hallqvist hieß, lebt und arbeitet in Barcelona, jener Stadt, in der seit 2015 die erste linksradikale Bürgermeisterin Europas im Amt ist, in der die Rechte gleichzeitig den Feminismus zum Hauptfeind erklärt hat, in der das Progressive und das Regressive unserer Zeit aufeinanderprallen wie selten sonst.
2004 hat Lust hier ihren ersten erotischen Kurzfilm gedreht; mittlerweile hat sie 160 Produktionen abgeschlossen. Mehr als 200.000 Menschen haben ihre Filme über das Internet abonniert. Sie hat Bücher über Porno veröffentlicht, sie spricht auf Konferenzen. Jetzt dreht sie ihren ersten Langfilm; sie hat ihn selbst geschrieben, führt Regie. Vor kurzem ist ihr Unternehmen in ein neues Büro gezogen. Das Team war so gewachsen, dass nicht mehr alle Mitarbeiterinnen Platz hatten.
Heute, am zweiten Drehtag, ist der Set in den alten Büroräumen in einem der Jugendstilhäuser im Zentrum aufgebaut, wo die Nachbarn nichts gegen das Stöhnen haben. Die Dielen vibrieren, als Lust den Raum betritt, eine Assistentin folgt ihr. Sie ist eher klein, schlicht gekleidet, unauffällig, aber sie bringt die Luft zum Schwingen, so energisch, wie sie läuft, dabei fast singend Anweisungen gibt, die Arme um sich wirft.
Der Film, den sie dreht, heißt „The Intern“, „Die Praktikantin“: Eine junge Frau aus den Vereinigten Staaten zieht für ein Praktikum bei Erika Lusts Filmproduktion nach Barcelona und erlebt dort ihre sexuelle Befreiung. Das klingt nicht besonders progressiv, es erinnert an gängige Erotik-Narrative, wie sie schon im „Schulmädchenreport“ Verbreitung fanden. Dass in der Szene von „The Intern“, die heute gedreht wird, eine Spanischlehrerin die amerikanische Praktikantin verführen wird, verstärkt den Eindruck – schließlich gibt es auch bei Youporn die Kategorien „lesbian“ und „teacher/student“.
Feministischer Porno galt lange als abstrakt und künstlerisch, und es gibt ja auch viele Filme, die eher zur Analyse im Uni-Seminar, aber nicht als Masturbationsvorlage auf der Couch taugen. Erika Lusts Arbeit ist anders, sie will die Massen erreichen, will sie erregen. Deshalb erzählt sie Geschichten, die auf den Phantasien der Menschen basieren: 2013 hat sie die Plattform XConfessions gegründet, auf der alle Besucher und besonders Frauen eingeladen sind, Sehnsüchte und geheime Erfahrungen niederzuschreiben, von denen Lust jeden Monat zwei auswählt und in Filme verwandelt. Manche „Confessions“ sind überraschend und zeigen das Neue, einen „Female Pleasure Circle“ etwa, einen gemeinsamen Masturbationskreis von Frauen, andere dagegen handeln von Hetero-Pärchen, die mit anderen Hetero-Pärchen Sex am Pool haben, wie man sie auch im Mainstream- Porno findet. Warum sollten die Phantasien von Frauen nicht ebenso gewöhnlich sein wie die von Männern? So hatte Lust eben die Phantasie von der Praktikantin. Den Unterschied zum Mainstream-Porno mache der Blick, der die Inszenierung leite.
„Um den Porno zu befreien, brauchen wir andere Perspektiven, brauchen wir Frauen, Feministinnen, die Pornos machen“, sagt Lust. An ihrem Set arbeitet nur ein Mann, der Regieassistent.
Wie dadurch allein der Dreh schon ganz anders wird, weiß eine hier heute am besten: Die Frau, die die Praktikantin spielt, heißt Lena Anderson und hat Mainstream-Pornos gedreht, bis sie genug hatte, die Arbeit von Lust entdeckte und ihr eine E-Mail schrieb. Sie schrieb, dass man Lusts Filmen die Freude der Darstellerinnen ansähe und dass auch sie in einer Produktion mitwirken wolle, die von Frauen geleitet wird.
Sie ist gerade auf den Balkon gegangen, eine Zigarette rauchen mit der Schauspielerin Paulita Pappel, mit der sie die erste Sexszene des Films, die Lehrerin- Schülerin-Szene, drehen wird. Die beiden Frauen tragen noch T-Shirts und Jogginghosen und albern herum. Faire Produktionsbedingungen heißt bei Lust nicht nur, dass etwa Hotel- und Reisekosten für alle Schauspielerinnen und Schauspieler übernommen werden – was bei gewöhnlichen Pornoproduktionen selten der Fall ist –, sondern auch, dass der Umgang miteinander am Set respekt-, ja liebevoll ist. Nur so lasse sich das nächste Kriterium erfüllen, das ihren Porno vom Mainstream abgrenze: „Bei uns geht es um echten Sex, um das Vergnügen der Menschen vor der Kamera – und dafür braucht es Vertrauen.“ Paulita Pappel, die heute die Spanischlehrerin spielt, kenne sie schon seit Jahren, sie habe in vielen von Lusts Filmen mitgewirkt. Mit Lena Anderson arbeiten beide das erste Mal zusammen.
Die Schauspielerinnen verschwinden in der Umkleide. Alle anderen, die Stylistin, die Producerinnen, die Casterin, die Assistentin finden sich im Raum neben dem Set vor einem Bildschirm ein, sie ziehen Stühle heran; der Platz ganz vorn ist Erika Lust vorbehalten. Sie mustert die Szenerie auf dem Monitor. Das Licht passt, die Kameraperspektive auch. Sie dreht mit einer einzigen Kamera. Und die zeigt ein Zimmer, das Zimmer der Sprachschule, das bis ins Detail durchdesignt ist. Die Holzbeine der Kommode und die der Couch sind aufeinander abgestimmt, Retroposter hängen an der Wand, eine Stehlampe verbeugt sich. Die Farben, Pink und Gelb, leuchten sanft.
Paulita Pappel setzt sich als Spanischlehrerin an den Tisch. Ihr dunkler Pony ist kurz geschnitten. Sie trägt einen knielangen schwarzen Rock, ein Bustier mit kurzen Ärmeln. Die Schülerin, die Praktikantin, gespielt von Anderson, nimmt neben ihr Platz, in einem hellen Kleid mit Tupfen und Spaghettiträgern.
Anders als viele der Darstellerinnen und Darsteller, die Lust sonst engagiert, entspricht Anderson allen Ansprüchen der Schönheitsindustrie. Wenn man sie googelt, wird offensichtlich, wie erfolgreich sie im Mainstream-Porno war. Man kann durch eine Bildermasse scrollen, und auf der Hälfte dieser Fotos blickt sie mit großen Augen von unten in die Kamera oder auf zu einem Mann oder seinem Penis. Das erste Video, das erscheint, heißt: „Lena Anderson Throat Cumpilation“, es ist eine Zusammenstellung von Cumshot- Szenen, von einzelnen Filmen, an deren Ende ein Mann seinen Samen in Andersons Gesicht spritzt und dabei seinen Penis in ihren Mund stößt, in den Rachen, bis sie würgen muss. Der erste Film zeigt, wie ein Mann, der schräg von hinten zu sehen ist, grob ihre Bluse zur Seite schiebt und nach ihren Brüsten fasst. Sie schaut erschrocken. Schnitt. Nächstes Bild: Sie kniet vor ihm auf dem Boden. Man sieht seine muskulösen Arme, die nach ihrem Kopf greifen und ihn zu seinem Penis drücken. Schnitt. Anderson liegt auf dem Rücken, die Kamera ist auf ihren nackten Körper gerichtet.
Zu den beliebtesten Untergenres im Mainstream- Porno zählen so genannte „Casting-Couch“-Filme, in denen eine Frau als vermeintliche Amateurin die Einzige im Raum ist, die nicht weiß, was passieren wird, dass sie gleich überwältigt und damit Teil eines Pornodrehs wird; und „POV“, Point-of-View-Filme, bei denen der männliche Darsteller eine Kamera auf dem Kopf hat oder sie selber führt und die Frau so aus Ego-Shooter- Perspektive filmt. Direkter lässt sich der „männliche Blick“ wohl kaum umsetzen, jener Blick, der die Welt und erst recht den Porno strukturiert, den Erika Lust und andere Feministinnen kritisieren.
Und dieser Blick ist selbst in jenen Filmen strukturierend, in denen nur Frauen Sex haben, die etwa bei Youporn unter „masturbation“ oder unter „lesbian“ laufen: Hier schauen die Frauen lüstern oder unterwürfig in die Kamera, in die Augen des Mannes, der dahinter steht, des Regisseurs oder des Zuschauers zu Hause auf der Couch. Die Inszenierung dient ihm – die Frauen dienen ihm, ihre Körper seinem. Das ist es, was die Bilder sagen, und sie treiben damit eine sexistische Logik auf die Spitze, die auch in anderen Bilderwelten noch immer verbreitet ist. Was etwa soll eine halbnackte Frau auf der Werbung für einen Handwerksbetrieb – außer einem heterosexuellen Mann Vergnügen bereiten? Diese Logik prägt weiterhin das Geschlechterverhältnis in den Köpfen vieler. #MeToo hat gezeigt, wie alltäglich es ist, dass Männer Frauen anfassen, ohne dass diese es wünschen oder wollen.
Dass sich patriarchal strukturierte Pornos unter jungen Menschen immer früher verbreiten – bei einer Befragung von 1048 Kindern und Jugendlichen in Deutschland gab gerade fast die Hälfte an, bereits „Hardcore-Pornografie“ im Internet gesehen zu haben, die meisten vor ihrem 15. Geburtstag –, wird diese Zustände wohl nicht verbessern. Für ihr Buch „Girls & Sex“ hat die amerikanische Autorin Peggy Orenstein an die hundert Mädchen und Frauen zwischen 15 und 20 zu ihrer Sexualität interviewt. Ergebnis: Guter Sex ist für sie, wenn sie dem Typen dabei gefallen und selbst keine Schmerzen haben. Die Soziologin Heather R. Hlavka hat 2014 in einer Studie ebenfalls Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren in Amerika zu ihrer Sexualität befragt und dabei die Normalität von sexueller Gewalt unter Jugendlichen dokumentiert, von Verhalten, das strafbar wäre, wenn dieMädchen es anzeigen würden: Sie reden aber nicht darüber, weil sie denken, sie müssten es hinnehmen, Jungen und Männer seien so.
Die verbreiteten Bilder tragen dazu bei, sie so zu machen. Welche Wirkung haben die ganzen kostenlosen Pornoseiten im Internet auf diejenigen, die darin als Männer angesprochen und als penetrierende Maschinen inszeniert werden, die immer und immer weitermachen? Eine Studie der Niedersächsischen Landesmedienanstalt und der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien zeigte 2010, wie sexuelle Muster durch die ständige Wiederholung in den Filmen zu Phantasien werden. Die Jungen gaben darin auch an, sie würden die Pornos nicht nur zur Erregung schauen, sondern als Anleitung.
Da wirkt es schon sinnvoll, dass die Berliner Jusos fordern, feministische Pornoproduktionen zu fördern, um die Filme dann kostenlos ins Netz zu stellen. In Schweden werden feministische Pornos tatsächlich bereits vom Staat finanziert – damit die Jugendlichen Alternativen zum Rumgerammel auf Youporn entdecken.
Erika Lust ruft: „Action!“ Lehrerin und Schülerin wiederholen Sätze wie „Woher kommst du?“ „De donde eres?“, lachen über die Aussprache der Schülerin, rutschen ein bisschen näher. „Jetzt was zum Merken“, sagt die Lehrerin auf Englisch und dann etwas auf Spanisch. „Was heißt das?“ „Dass du schön bist.“ Sie schaut der Schülerin in die Augen. „Und sexy.“ Die Fingerspitzen der beiden Frauen berühren sich vorsichtig, sie lächeln sich an und recken beide ihre Köpfe ein wenig nach vorn, bis ihre Lippen sich berühren, und ganz langsam beginnen sie, sich zu küssen.
„Cut“, ruft Lust. Und der Monitor zeigt, wie die beiden genauso langsam mit dem Küssen aufhören, wie sie begonnen haben, und fast verlegen grinsen. „Das war gut“, ruft Erika Lust aufgeregt und dreht sich zu ihren Mitarbeiterinnen und dem Regieassistenten. „Oder? Das war gut?“ Alle stimmen zu. Einmal wird die Szene mit einer anderen Kamera-Einstellung wiederholt. Fertig.
Jetzt steht im Drehbuch nur noch: „Sex“. Ohne Anweisungen, ohne Zeitplan. Alles bis hierhin war bis ins Detail konzipiert, inszeniert, soll „cinematographischen Wert“ haben, wie Erika Lust sagt – nur der Sex nicht, der wird den Darstellerinnen und Darstellern überlassen. Sie können machen, was sie wollen, so lange, wie sie wollen. Im Vorgespräch, das Lust mit ihnen auf der Couch am Set führt, bittet sie die beiden bloß, nicht aus ihren Rollen zu fallen.
Und dann knien sie als Lehrerin und Schülerin auf der Couch, einander zugewandt, beginnen wieder, sich zu küssen, erst langsam, dann intensiver, drängender. Ein Spaghettiträger rutscht nach unten, dann das ganz Kleid. Bald liegt kein Stoff mehr zwischen den Körpern, und Finger, Lippen, Zungen bahnen sich ihre Wege. Immer wieder streifen sich die Blicke der beiden Frauen, ihre Augen stimmen den Gesten zu.
„It’s magic“, flüstert Kali Sudhra, die den Cast für den Film organisiert hat. Und Erika Lust dreht sich strahlend um, alle Anspannung ist plötzlich von ihr abgefallen. Sie jubiliert lautlos: Es funktioniert!
Es spricht eine unfassbare Zärtlichkeit aus dem Umgang der beiden Frauen auf dem Bildschirm miteinander, ein Zauber, den jeder gute Liebesfilm braucht, der aber in all den Videos, die man im Internet unter „Porno“ findet, nur sehr selten eine Rolle spielt.
Die Zärtlichkeit definiert sich nicht über die Sanftheit der Berührung, sondern über die Aufmerksamkeit, über die Nähe, die keine Bekanntschaft voraussetzt, sondern es vermag, sich selbst im Sex zu erzeugen. Über die Kommunikation, die nicht verbal sein muss und doch nie unterbrochen ist, weil die beiden Beteiligten aufeinander achten, darauf achten, dass es der anderen gut gehe, dass sie sich vergnüge.
Auch hier fasst die Lehrerin die Schülerin grob an, und andersherum, und immer wird irgendwie klar, dass genau das ihnen gerade Lust macht. Hier blicken die beiden Frauen nie in die Kamera, posieren nie für den potentiellen Zuschauer, ihre Augen sind beieinander – und ihnen dabei zuzusehen, bereitet genau deshalb auch so ein Vergnügen, nicht nur auf der körperlichen Ebene.
Das ist es vielleicht, was feministischen Porno ausmachen kann: feministischen Sex zu zeigen. Sex, in dem achtsam miteinander umgegangen wird. Der aber trotzdem brutal sein darf – solange er eben einvernehmlich ist.
Das Begehren ist zutiefst strukturiert, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass es Frauen erregen und gefallen kann, sich zu unterwerfen, genommen zu werden. Feministischer Sex schließt das nicht aus, im Gegenteil: Er schafft den Rahmen, in dem sich jede und jeder in verschiedenen Rollen ausprobieren und hingeben kann, im Vertrauen darauf, dass die andere Person, die anderen Personen aufmerksam auf alle Signale sind, dass es jederzeit eine Pause geben kann, wenn sich eine nicht mehr sicher ist, dass man anders weitermachen oder aufhören kann. Lust dokumentiert etwa in ihrem Film „Feminist and Submissive“, wie feministisch Unterwerfung sein kann. Wenn sie Teil eines Spiels ist, das zwei oder mehrere Menschen in jedem Augenblick miteinander wählen.
Solcher Porno kann gleichzeitig neue Erzählungen schaffen. Er kann inspirieren, Neues auszuprobieren, sich selbst und einander zu erkunden. Und zeigen, dass Sex so viel mehr ist, als Youporn erahnen lässt.
Und während zwar patriarchal geprägter Porno immer früher Verbreitung findet, entstehen gleichzeitig immer mehr Alternativen. Erika Lust ist längst nicht mehr die Einzige, die dazu beiträgt: In Freiburg etwa hat sich letztes Jahr eine Gruppe Studierender zu „Feuerzeug“, einem Start-up für feministischen Porno zusammengetan, um vor allem junge Menschen zu erreichen, und gerade den ersten Film produziert, der für 4,90 Euro im Internet zu kaufen ist. In Berlin werden 2019 zum sechsten Mal die PorYes-Awards verliehen, die Preise für feministischen Porno, und jedes Jahr kommen mehr Zuschauer. Die Bilder werden freier und das Begehren dann auch.
Die Zahl der Abonnements von Erika Lusts Channels wächst ebenfalls weiter – dass knapp sechzig Prozent derer, die ihre Filme kaufen, angeben, männlich zu sein, heißt zwar ihrer Meinung nach einerseits, dass Frauen sich immer noch scheuen, Pornos zu schauen. Andererseits sei es auch ein gutes Zeichen, dass ihre Filme Männern gefallen. Schließlich seien es keine Pornos für Frauen, sondern für alle, sagt Lust.
Dass der „weibliche Blick“ ihn leiten soll, ist eine Reaktion auf die alten patriarchalen Hierarchien, die genau dieser Blick aber angreift, um sich schließlich irgendwann, in der Utopie, selbst überflüssig zu machen. Feministischem Porno geht es darum, gemeinsam Perspektiven zu erweitern, die Körper zu entdecken, die viel individueller und vielfältiger sind, als es die binäre Geschlechtermatrix zulässt. Selbst ein Film wie „Female Pleasure Circle“, von dem anfangs die Rede war, der die „Weiblichkeit“ im Titel trägt, zeigt letztlich vor allem eines: das Vergnügen, die Grenzen zwischen sich und anderen zu unterlaufen, Begrenzungen zu unterwandern, geborgen und frei zugleich zu sein. Jenes Vergnügen, das guten Sex ausmacht – egal zwischen welchen Geschlechtern.