Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Juli 2018
Im Alten Testament steht Moria für das Land, in dem Abraham seinen Sohn opfern soll. Gott hat es so befohlen. Ein Engel hat Abraham dann davon abgehalten. In Moria auf Lesbos gibt es keine Engel. Moria ist der Ort, an dem die Europäische Union das opfert, wofür sie einst stehen wollte. Und wenn die Regierungen jetzt das tun werden, was sie in der Nacht zum Freitag beschlossen haben, ist Moria bald überall, an allen Außengrenzen.
Amir Hampay trägt ein knallgrünes T-Shirt, eine kurze schwarze Hose, gelbe Sneakers, und wenn man ihm nicht nahe genug kommt, sieht man die Mottenlöcher nicht; dann sieht Amir gepflegt aus. So gepflegt, wie er es eben sein kann, hier, als Flüchtling auf Lesbos. Amirs schöne Augen sieht man gleich, sie sehen aus wie die seines großen Bruders Arash. Der hat es geschafft. Arash Hampay hat Asyl und ist in Athen. Amir ist noch immer gefangen auf der Insel, seit September 2016, seit die beiden Brüder hier angekommen sind. Das ist so unerträglich für den Älteren, den 32-jährigen Arash, dass er vor zwei Wochen seinen Ausweis einem Freund gab, der nach Lesbos reiste, damit der das Papier an Amir weiterreiche.
Was blieb ihnen sonst für eine Möglichkeit? Was blieb ihnen, nachdem Amirs Asylgesuch auch auf der zweiten Ebene abgelehnt war, nachdem er bereits in jenen Teil der Geflüchtetenunterkunft Moria verlegt worden war, der als Abschiebegefängnis funktioniert? Als man Amir nach 100 Tagen wieder rausließ – alles läuft ohne Begründung hier, nie wissen sie, warum die Behörden etwas entscheiden –, dachte Arash in Athen, das sei jetzt ihre Chance. Er schickte seinen Ausweis nach Lesbos, Amir sollte die Insel als Arash verlassen. Doch die Polizei erkannte ihn – ausgerechnet an diesem Tag wurde ein Beamter aus dem Abschiebegefängnis am Hafen eingesetzt. Jetzt liegt Arashs Ausweis auf der Polizeistation von Lesbos. Und Amir sitzt weiter fest.
Einen Ausweg könnte es noch geben. Amir hat zum zweiten Mal Einspruch erhoben gegen seine Ablehnung, jetzt geht sein Fall eine Instanz höher. Der Richter könnte Amir Asyl gewähren. Tut er das nicht, wird Amir wieder ins Abschiebegefängnis gesteckt und von dort aus wahrscheinlich irgendwann nach Iran zurückgeflogen. Wo er vielleicht umgebracht wird, wie sein ältester Bruder und sein Vater. Wo er auf jeden Fall eingesperrt und gefoltert wird. Und wenn er nicht nach Iran zurückmuss, weil Abschiebungen zu teuer sind, dann wird Amir im Lager bleiben, getrennt von Arash. Moria und immer Moria.
Bevor die EU Moria 2015 zum Hotspot, zur Erstaufnahmestelle für Asylsuchende, erklärte, war es eine Kaserne der griechischen Armee, und so sieht es auch heute von außen aus. Das einen Hektar große Areal ist eingezäunt. Eisendraht verwoben zu Quadraten, bis zu vier, fünf Meter hoch. Über den Zaun ist Stacheldraht gerollt, an allen Eingängen ins Lager stehen Wachtürme und Wachmänner, die Gewehre über die Brust geschnallt. Wer reinwill, muss seinen Ausweis zeigen. Vor allem die Presse soll nicht einfach hinter diese Tore blicken.
Aber es gibt Schlupflöcher im Maschendrahtzaun. Wer lange genug außen entlang läuft, wird eines entdecken. Das weiß Amir, er kennt das Gelände, er hatte ja genügend Zeit. Amir ist 27, und seit fast zwei Jahren sitzt er hier fest. Er steigt den Hang hinauf und wieder hinab, durch Gestrüpp und über Asche, die einmal Gestrüpp war. Es hat 30 Grad, und die Sonne sticht. Er hebt eine Plane an, die am Zaun befestigt ist, darunter ist der Draht zerschnitten. Er bückt sich und steigt durch das Loch.
7500 Menschen sind in Moria untergebracht, einem Lager, das für 2000 ausgerichtet ist. Schon 2015, als Moria gerade eröffnete, legten so viele Menschen von der türkischen Küste gegenüber ab, dass die Vereinten Nationen einen sogenannten Level-3-Notfall für Griechenland ausriefen und die Generaldirektion „Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz“ der EU erstmals überhaupt Gelder innerhalb Europas fließen ließ. Doch die EU entschied bald, das Geld anders zu investieren: Statt an die internationalen Hilfsorganisationen, die nach Lesbos gekommen waren, sollte nun Geld in die Türkei fließen, damit die keinen Menschen weiterfliehen lasse. Also zogen das Internationale Rote Kreuz und die anderen wieder ab, als wären die Menschen in Moria mit dem Deal aus der Welt.
Es gibt keinen Grashalm mehr in diesem Lager. Während rundherum Pinien und Oleander wachsen, ist hier drinnen eine Farbe dominant: grau. Die Container sind grau, die Metallzäune sind silbergrau, die Absperrungen und das, was man vom Boden noch sieht, was noch nicht mit Behausungen zugepflastert ist, ist aus Stein, die Wege sind betoniert oder mit Kieseln übersät. Alles ist hart und unfruchtbar. Wie zum Hohn sind die tausend Iglu-Zelte, die sich entlang der schmalsten Pfade reihen: grün. Dazwischen bekommt man gerade zwei Füße nebeneinander auf den Boden.
Amir läuft voraus. Nach links geht es auf einen Betonpfad, der an Containern vorbeiführt, die übereinandergestapelt sind. Wie bei den Hühnern. Nach rechts auf den Kieselpfad, direkt vor ein ungefähr dreißig Quadratmeter großes graues Zelt, dessen Eingang offen steht: Innen sind Schnüre, Plastikplanen und Decken zu Kabinen gebunden, Sichtschutz für die Familien, die hier jeweils auf fünf Quadratmetern untergebracht sind. Babys brüllen, die Temperatur hat 40 Grad überschritten. Drei Kleinkinder haben irgendwo eine schmale rostige Eisenstange gefunden und nutzen sie auf der kurzen Steigung vor dem Zelt als Rutsche. Es funktioniert nicht. Die Hose des Vierjährigen reißt auf. Das T-Shirt ist schon zerrissen, und seine Knie sind es auch.
Dreimal am Tag gibt es Essen, eine Pampe, für die sie ewig anstehen müssen. Anstehen müssen sie auch für die Duschen und die Toiletten, und die stinken, und der Müll stinkt, der sich überall stapelt. Und am Abend ist das Wasser alle, sagt Amir.
Dann zeigt er auf ein Gebäude, das von dickem Gitter umgeben ist, hier innerhalb des sowieso schon eingezäunten Areals. „Asylum“, sagt Amir. Hinter den Gittern finden die Interviews statt.
Immer wieder versuchen die Menschen, dort hineinzukommen, deshalb die Gitter. Die Menschen hängen sich an sie, schreien und schimpfen. Doch hier gibt es keine Gnade, nur die nächste Nummer, die aufgerufen wird.
Wer auf Lesbos ankommt, der hat Frontex auf dem Wasser überlistet, läuft den Angestellten der Agentur dann aber auf dem Land in die Arme. Frontex soll den europäischen Staaten immer umfassender als „Grenzschutzpolizei“ dienen, so will es auch die Bundesregierung, so wollen es alle in der EU, und Moria steht für das, was sie etablieren wollen:
Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich auf ein Konzept für ein gemeinsames europäisches Asylsystem geeinigt, das die Einsperrung von Menschen in Lagern an den Außengrenzen zum Standard machen soll – Lager, in denen die Menschen festsäßen und gar nicht weiterkönnten, von denen aus sie auch direkt wieder abgeschoben oder zurückgeschickt werden sollen in Transitstaaten außerhalb Europas. Lager, in denen Frontex immer mehr Verantwortung für die Abläufe übernehmen soll. So wie in Moria, wo die Agentur für die Registrierung zuständig ist: Fingerabdruck, Name, Nummer.
Das sollte das Prinzip des „Hotspots“ sein: schnelle Abwicklung der Asylverfahren, schnelle Rückführung oder Überstellung aufs europäische Festland. Dass damit die Verpflichtung, jeden Fall einzeln gründlich zu prüfen, wie es die Genfer Konvention vorsieht, nicht mehr zu erfüllen ist, kritisierten Menschenrechtsorganisationen europaweit heftig.
In Moria wird nichts gründlich geprüft, und trotzdem dauert alles ewig. Nachdem man eine Nummer bekommt, wird man in eines der Iglu-Zelte gesteckt oder in einen Container, in dem die Menschen immer weiter zusammenrücken müssen – wie in Container 411, wo sie mittlerweile zu acht sind auf 15 Quadratmetern.
Aminata Timbo aus Sierra Leone ist darin allein mit sieben Männern, die sie alle davor nicht kannte. Man kann nicht einfach den Schlafplatz tauschen in Moria; wer es versucht, hat vielleicht beim Interview weniger Chancen. Das zumindest fürchtet Timbo, informiert wird sie ja über nichts, deshalb muss sie sich ausmalen, wie dieses Interview irgendwann sein wird. Ihr Termin wurde verschoben, obwohl sie schon seit Monaten hier ist. Das ist nicht besonders lange im Vergleich zu manch anderen, einer ihrer Container-Kollegen ist seit 2016 hier und hat noch nicht einmal das erste Gespräch mit den Behörden zu Ende führen können. Sie haben ihn schon wieder auf einen späteren Termin vertröstet.
Hotspot heißt in Moria, dass Willkür waltet und niemand versteht, warum der eine nach einer Woche ins Interview kommt, die andere aber ewig warten muss. Ohne Begründung, egal, aus welchem Land man kommt, egal, was man durchgemacht hat. Barrie Mumini, der mit Timbo den Container teilt, hat ein zertrümmertes Knie, eine Folge schwerer Folter in Sierra Leone, das haben ihm die Ärzte ohne Grenzen auf das Dokument geschrieben, das er aus seinem Rucksack holt. Er humpelt an einer Krücke. Sein Husten klingt nach starker Bronchitis, und auch das haben die Ärzte dokumentiert. Gegen die Schmerzen im Kopf, das Leiden an der Erinnerung, haben sie ihm Tabletten mitgegeben. Damit er ein bisschen vergessen, ein bisschen schlafen kann. Er nimmt davon mehr, als er soll. Lethargisch werden, abstumpfen, abwesend sein, das ist die einzige Chance, nicht durchzudrehen. Nicht so wie die Leute zu werden, die sich hier neulich gegenseitig mit Messern verletzten, zwei Gruppen, die aufeinander losgingen in ihren Käfigen hier, wie die Hühner, die einander blutig hacken.
Die Psychotherapeutin Monika Gattinger-Holböck von Ärzte ohne Grenzen, die Mumini die Diagnose gestellt hat, sagte am Weltflüchtlingstag, dass sie noch nie so großes psychisches Elend gesehen hat wie in Moria. Und sie hat schon bei Kriseneinsätzen in Pakistan, im Libanon und im Nordirak gearbeitet.
Für Mumini hat sie aufgeschrieben, dass er keinesfalls mehr in einem Container wohnen darf, dass er umgehend psychologische Betreuung benötigt. Und dass sein Knie operiert werden muss, steht auch in den Papieren der Ärzte. Doch wem soll er das Papier zeigen? Die Psychotherapeutin kann er nicht mehr fragen, die ist wieder weg, übrig sind nur zwei Lager-Ärzte – für 7500 Menschen. Und keinerlei psychologische Betreuung.
Anwälte? Gibt es auch viel zu wenig auf Lesbos, und wie sollen die Menschen hier sie finden – und bezahlen?
Emmanouil Chatzichalkias verlangt nicht viel für seine Arbeit. Er war als Jurist für internationale Banken tätig, für die EU. Wenn er durch Moria läuft, trägt er frisch gebügelte Hemden und die nackenlangen grauen Haare nach hinten gelegt. Er hat Geld gemacht, danach ging er zurück in seine Heimat, nach Lesbos, und da gab es bald nur noch ein Thema, eine Verpflichtung für jemanden wie ihn, der an das Gesetz glaubt, an das Gesetz, das auf der Insel heute permanent gebrochen wird. Und deshalb verteidigt er die Flüchtlinge. Die Menschen, die hier täglich ankommen. Immer ist er telefonisch erreichbar, auch am Sonntag.
Chatzichalkias klagt die Beamten an und die Institutionen, er verklagt die Leitung von Moria. Sie haben Tote auf dem Gewissen, das weiß er. Fahrlässige Tötung in mehreren Fällen. Die Frau aus Eritrea, die im neunten Monat schwanger war und eine Infektion bekam, die nicht lockerließ, um Behandlung zu bitten, aber immer wieder weggeschickt wurde. Die vor dem Personal von Moria kollabierte und trotzdem aufgefordert wurde, in ihren Container zurückzukehren, zu einem Zeitpunkt, als das Baby in ihrem Bauch gerade dabei war zu sterben. Zwei Wochen später stand sie bei Chatzichalkias in der Anwaltskanzlei in Mytilene, jemand hatte ihr seine Adresse gegeben. Chatzichalkias’ Stimme wird laut, wenn er davon erzählt. Als die Behörden erfuhren, dass die Frau zu ihm gegangen war, gaben sie ihr im Eilverfahren Asyl und brachten sie aufs Festland, sofort, ehe Chatzichalkias klagen konnte.
Diesmal wird er sie zur Verantwortung ziehen, mit dem Fall der Kameruner: Ende März kam ein Schlauchboot an, darin um die hundert Menschen aus Kamerun, wo gerade ein Bürgerkrieg ausbricht und ganze Dörfer abgebrannt werden. 20 davon, lauter junge Männer, wurden direkt ins Detention-Center gesteckt, in den Abschiebeknast – mit der Begründung, sie hätten keine Chance auf einen positiven Bescheid. Als hätte es nie eine Genfer Flüchtlingskonvention gegeben.
Das Detention-Center ist ein Gefängnis im Gefängnis. Im Gefängnis. Lesbos ist das Gefängnis für alle, die hier ankommen. Sie dürfen die Insel nicht verlassen, wenn sie nicht irgendwann Asyl bekommen. Moria ist die zweite Ebene, die ein paar wenigen erspart bleibt. Manche bekommen einen Platz in einer der drei anderen kleinen Unterkünfte, die der UNHCR auf der Insel betreibt, die besonders Vulnerablen, heißt es. Aber wer ist hier nicht besonders vulnerabel? Die dritte Ebene der Einsperrung ist der Abschiebeknast, der sich innerhalb von Moria befindet. Hier werden alle gefangen gehalten, deren Asylgesuch abgelehnt wird und die es versäumen, in der dafür vorgesehenen Frist von fünf Tagen dagegen zu klagen, oder deren Klage abgewiesen wird. Viele verstehen erst gar nicht, dass sie klagen können, sagt Chatzichalkias. Und wenn sie es verstehen, ist vielleicht Wochenende und kein Anwalt zu erreichen, der sich ihrer annehmen könnte. Im Abschiebegefängnis sind die Menschen von 24 Stunden 22 eingeschlossen, allein in kleinen Containern. Eine Stunde dürfen sie jeweils morgens und abends raus auf den Weg vor ihrer Zelle. So geht es den jungen Männern aus Kamerun, die in das Schlauchboot stiegen, obwohl sie wussten, dass so viele untergehen. Die ein menschenwürdiges Leben suchten in Europa. Die ankamen und eingesperrt wurden, als wäre ihre Flucht ein Verbrechen.
Amir blickt auf die Mauern innerhalb der Mauern. Hier saß er 100 Tage, bevor sie ihn dann plötzlich wieder rausließen, 100 Tage Isolationshaft. 100 Tage sind über drei Monate. Man kann nicht glauben, dass er einen trotz allem, was er in Moria erlebt hat, hier durchführen will. Neulich hat er sich in einem Laster versteckt, er hatte viel Geld gezahlt, es hieß, der Laster fahre nach Athen. Nach zwei Tagen hielt er es nicht mehr aus, es war zu heiß, zu viele Menschen, keine Luft, kein Essen und keine Möglichkeit, zur Toilette zu gehen. Er öffnete die Tür und war immer noch auf Lesbos.
Sein älterer Bruder Arash schrieb vor einem Jahr in einem Artikel für den „Independent“: Er wisse nicht, was besser sei, Europa oder Iran, aus dem er floh. Im Gefängnis in Teheran hat man ihn vor ein paar Jahren misshandelt, man hat ihm dort die gesunden Zähne gezogen, damit er endlich Ruhe gebe, damit er nicht mehr für gleiche Rechte für alle Menschen kämpfe. Aus dem Gefängnis in Teheran kam er irgendwann wieder frei. Im Lager Moria, in das Amir und er nach ihrer Ankunft auf Lesbos gesteckt wurden, schien kein Ende in Sicht. Sieben Monate später, im Frühjahr 2017, schnitt Arash sich die Pulsadern auf. Bald danach bekam er Asyl. Vielleicht hatten die Verantwortlichen Angst, dass Arash es noch einmal versuchen könnte, und vor allem, dass es publik werden würde. Schließlich ist Arash ein Aktivist, über den vieles im Internet steht. Vielleicht hatte Arash aber auch nur einen besseren Übersetzer während des Interviews oder Beamte, die ihn nicht mit misstrauischen Detailfragen drangsalierten, wie sie es bei Amir taten.
Arash bekam also Asyl und sollte nach Athen. Doch er blieb auf Lesbos, keine Freiheit, nicht ohne seinen Bruder. Und es ging ja nicht nur um seinen Bruder: Arash zettelte einen Hungerstreik an, damit das alles ende, damit diejenigen, die an Menschenrechte glauben, aufmerksam würden.
Nicht die waren gemeint, die hierherkommen, um die nächste neue NGO zu gründen, um private Spenden einzutreiben und damit zum Beispiel die Unterbringung der sogenannten Volunteers zu organisieren, die im Sommer kommen und vormittags in Moria mit Kindern spielen und nachmittags im Strandbad von Mytilene liegen wollen. NGO-Industrie, schimpft Chatzichalkias.
Ein Bild von diesem Strandbad hat auch Arash gerade auf Facebook gepostet. Arash, der in Athen sitzt. Das Bild zeigt eine Tafel: Kein Zugang für Flüchtlinge.
Überall sind Faschisten, sagt sein Bruder Amir. In Iran, in Griechenland. In Deutschland auch? Da gibt es doch jetzt Seehofer, fragt er. Eine ausgemergelte Katze, in den Dreikönigsfarben, schlängelt sich durch den Müll von Moria. Amir beugt sich zu ihr. Die Katze schmiegt sich in seine streichelnde Hand. Faschisten aller Länder vereinigt euch, sagt er, wir anderen könnten es uns so schön machen.
Auf der Fahrt im Bus von Moria nach Mytilene schreit ein Mann besoffen sehr laut etwas auf Arabisch herum. Amir übersetzt: „Fuck Greece, fuck Europe!“
Als Moria 2015 eröffnet wurde, reisten viele Journalisten hin, waren entsetzt, und der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras kam und sagte, dass es sich ändern würde. Und jetzt? Arash kämpft von Athen aus für die Rechte von Asylsuchenden, für internationale Solidarität, für das, wofür Europa einmal warb.
Währenddessen greifen irgendwo auf diesem Kontinent täglich Nazis Menschen an, angestachelt von den Reden der Parteien, die es längst in die Parlamente geschafft haben. Die Regierungen befeuern den Trend und planen die weitere Aushöhlung des Rechts auf Asyl. Orte wie Moria sollen jetzt rund um die EU entstehen. Sie sollen „Kontrollierte Zentren“ heißen. Man möchte sich ein Kürzel für diesen Namen lieber nicht vorstellen.