Spiegel Daily
November 2017

Morgen steht die Gießener Ärztin Kristina Hänel vor Gericht. Sie soll gegen Paragraph 219a verstoßen haben, der die ärztlichen Beratungspflichten zu Abtreibungen regelt. Ärzt*innen dürfen laut diesem Gesetz nicht für Schwangerschaftsabbrüche „werben”. Als Werbung gilt schon, das Wort „Schwangerschaftsabbruch” auf der Internetseite der eigenen Praxis lediglich zu erwähnen und etwa ein Formular mit mehr Informationen zu verlinken. Nichts anderes hat Hänel gemacht.

Die Gießener Staatsanwaltschaft erklärt, der Paragraf soll verhindern, dass „der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“. Die Behauptung, Ärzt*innen würden mit Abtreibungen Geschäfte machen, ist jedoch hanebüchen. Der Eingriff ist als solcher nicht lukrativ und viele Ärzt*innen berücksichtigen zudem bei der Abrechnung die finanzielle Situation der betroffenen Frauen. Noch abwegiger ist die Behauptung, Schwangerschaftsabbrüche würden kommerzialisiert, wenn Ärzt*innen Informationen zu Behandlungen anbieten, wenn sie etwa aufklären über Risiken von Eingriffen.

Eigentlich geht es der Staatsanwaltschaft um den ersten Teil ihrer Erklärung: Schwangerschaftsabbrüche sollen in der Öffentlichkeit nicht als normal angesehen werden. Dazu dient der Paragraph, der übrigens von 1933 stammt.

Dieses Gesetz, genau wie dessen Begründung durch die Staatsanwaltschaft Gießen, entspricht der Haltung derer, die Hänel angezeigt haben: Abtreibungsgegner*innen rund um die „Initiative Nie Wieder”, die auf Internetseiten wie Babycaust.de Schwangerschaftsabbrüche als ein schlimmeres Verbrechen als den Holocaust darstellen. Es entspricht AfD-Anhänger*innen, die die Meldepflicht für Abtreibungen verschärfen wollen und rechtskonservative Familienmodelle propagieren, genau wie denen, die jährlich den „Marsch für das Leben“ in Berlin veranstalten. Es entspricht deren Logik nicht nur, es befeuert sie:

In Frankfurt demonstrierten dieses Jahr während der Fastenzeit Abtreibungsgegner*innen 40 Tage lang vor dem Büro von Pro Familia. In München musste ein Arzt, der Abtreibungen durchführt, seine Praxis ins Umland verlegen, um den täglichen Protestaufläufen vor seiner Tür zu entkommen. Anti-Abtreibungs-Aktivist*innen unterhalten ganze Listen im Internet mit Namen von Ärzt*innen, gegen die sie auf Basis von 219a Anzeige erstattet haben. Meistens landen die Fälle nicht vor Gericht, weil die Ärzt*innen ihre Hinweise nach der Klage oder einer Verwarnung von der Website nehmen.

Hänel aber beugt sich nicht. Sie hat stattdessen eine Petition gestartet: Knapp 100.000 Menschen haben bereits dafür unterschrieben, dass §219a aufgehoben wird. Wenn das erledigt ist, können wir uns §218 vornehmen, der Schwangerschaftsabbrüche nach der 12. Woche kategorisch kriminalisiert.
(Sexistische) Nazi-Gesetze müssen endlich abgeschafft werden – auch um denen etwas entgegenzusetzen, die bereits daran arbeiten, neue einzuführen.