Gegen Annalena Baerbock kursieren diffamierende Lügen. Das Ziel der Kampagne ist nicht nur, den Wahlkampf der Grünen zu sabotieren – sie soll Frauen generell einschüchtern und sie von Machtpositionen fernhalten.

Spiegel
Mai 2021

Nach fast 16 Jahren unter der Regierung von Angela Merkel dachten manche, Gleichberechtigung der Geschlechter sei in der deutschen Politik längst erreicht. Doch der Umgang mit der Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock zeigt erneut das Gegenteil: Die Beharrlichkeit des Patriarchats und den Einfluss der Maskulinisten auf den politischen Diskurs.

Baerbock muss in Interviews nicht nur auf sexistische Fragen antworten, etwa danach, wer sich denn um ihre Kinder kümmern solle, wenn sie Kanzlerin werde. Eine Frage, die einem Mann in ihrer Situation nicht gestellt werden würde — was die Verhältnisse in diesem Land widerspiegelt, in dem Väter in heterosexuellen Kleinfamilien im Schnitt nach wie vor weniger als ein Drittel an Fürsorgearbeit übernehmen. Sie ist außerdem Ziel einer Online-Hetzkampagne, wie sie typisch für Maskulinisten, für Männerrechtler im Internet ist: Auf deren Foren kursieren Falschmeldungen, die Baerbock politisch delegitimieren sollen. Etwa die Behauptung, sie habe sich als Erotikmodel ablichten lassen – illustriert mit gefälschten Bildern. Über männliche Politiker werden ebenfalls Lügen im Netz verbreitet, doch der SPD-Kandidat Olaf Scholz würde nie derart sexualisiert werden.

Das US-Forschungsinstitut Wilson Center hat im Januar dokumentiert, dass »sexualisierte und geschlechtsbezogene« Online-Angriffe auf Politikerinnen stark zunehmen. Auch hierzulande trifft die Hetze im Internet besonders Frauen und nicht binäre Menschen, erst recht, wenn sie sich feministisch äußern oder in den Augen der Rechten migrantisch oder links sind. Bei Baerbock verbreiteten Kommentatoren etwa auch die Fake-News, sie habe ihren Uni-Abschluss erfunden. Auf der Seite »Journalistenwatch« heißt es immer noch, »der strahlende Sonnenschein« könne nun wirklich nicht vorweisen, Völkerrechtlerin zu sein. Eine Unterstellung, die der grüne Wahlkampfsprecher widerlegte, indem er Baerbocks Uni-Abschluss auf Twitter veröffentlichte. Ziel der diffamierenden Lügen ist, dass Frauen wie sie sich wieder in die Privatsphäre zurückziehen – wohin sie in den Augen der Rechten gehören.

Mit dem Erstarken des Rechtspopulismus in den vergangenen Jahren und dem Einzug der AfD in den Bundestag gewannen völkische Kräfte an Einfluss. Kräfte, die an eine binäre, hierarchische Geschlechterordnung glauben. Daran, dass Menschen von Natur aus in zwei Gruppen aufgeteilt sind mit je unterschiedlichen Eigenschaften, die einen für das Wichtige, für die Politik gemacht, die anderen dazu zu dienen, im Bett und in der Küche. Auf dem Wahlplakat der AfD wiegte eine Frau ein Baby im Arm: Sie soll das deutsche Volk reproduzieren.

Man kann aus inhaltlichen Gründen die Politik von Annalena Baerbock nicht teilen und das Programm der Grünen kritisieren. Doch Aussagen wie etwa jene von Oskar Lafontaine, man qualifiziere sich wohl in den Augen der Grünen bereits hinreichend fürs Regieren, wenn man »zwei Kinder großzieht«, sind sexistisch. Sie befeuern rechte, antifeministische Gruppen. Wer sich davon nicht abgrenzt, macht selbst misogyne und damit demokratiefeindliche Politik.