Wie Rechtspopulist*innen Corona zur rassistischen Mobilisierung nutzen

Manuskript, erschienen in überarbeiteter Form und mit Erweiterungen von Matthias Meisner im Sammelband „Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde“ 2021
verfasst im Herbst 2020

Hier kommt die zweite Welle, stand im Juli 2020 auf der Facebook-Seite einer AfD-Gruppe unter einem Bild von Geflüchteten im Mittelmeer. „Corona-Migranten“ hieß es in der Überschrift. Den selben Begriff verwendete schon im März der AfD-Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio. Sein AfD-Kollege Sebastian Wippel sagte am 18.3. im Sächsischen Landtag zum Thema Corona und „Massenzuwanderung“: „Wir wissen nicht, wer in die Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesen wird. Welche Krankheiten bringen diese Leute mit? (…) Diese Personen sind geneigt, hier auch Krankheiten einzuschleppen, ob sie wollen oder nicht. Die Frage ist, ob sie bei Symptomen wirklich einen Arzt aufsuchen würden oder ob sie Angst hätten und es aus Angst nicht machen und deshalb diese Krankheit dann verbreiten.“ Die rechtsextreme Gruppe „Ein Prozent“ verlautbarte, „dass die immer noch aktiven Flüchtlingsrouten demnächst auch als Virustransporteur fungieren“, womit sie Menschen mit Viren gleichsetzte, und auf der Website der NPD Brandenburg lautete es „Corona beweist: Globalisierung ist brandgefährlich!“

Rechtspopulist*innen, so scheint es, haben zwei Strategien im Umgang mit der Pandemie: Entweder verleugnen sie deren Gefahr, um die Maßnahmen der vermeintlich autoritären Regierung und die Berichterstattung der „Systemmedien“ zu diskreditieren. Oder sie nutzen Corona zur rassistischen und antisemitischen Hetze. Zur Mobilisierung gegen all jene, die in ihren Augen den deutschen Volkskörper bedrohen: Geflüchtete, Migrant*innen, Sintize, Romnja, Jüd*innen und Muslim*innen. Denen wird die Verantwortung für die Entstehung und Ausbreitung des Virus zugeschrieben — und dieser Diskurs ist bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig.

Besonders verbreitete sich zu Beginn des Jahres 2020 in Deutschland und andernorts der anti-asiatische Rassismus, den die Schlagzeilen vom „Virus Made in China“ genau wie etwa die Rede verschiedener Politiker*innen vom „China-Virus“ befeuerten. Was sogleich Wirkung zeigte: Die Anti-Diskriminierungsstellen des Bundes meldeten allein bis Mitte Mai 200 Vorfälle mit explizitem Corona-Bezug — die meisten davon waren Anfeindungen gegen Menschen, die südost-/ostasiatisch gelesen und markiert wurden. Betroffene wurden beschimpft, angespuckt und angehustet oder mit Desinfektionsspray besprüht. Viele dokumentierten die Vorfälle auch in den sozialen Medien unter #IchbinkeinVirus: Sie berichteten, dass andere Fahrgäste sich in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr neben sie setzen wollten, sich Schals oder Tücher vor die Gesichter zogen, oder Sitzplätze mit Taschen blockierten, dass ihnen Zugänge zu Arztpraxen oder Supermärkten verwehrt wurden, obwohl sie weder vor Kurzem in China waren, noch Symptome einer Covid-19-Infektion zeigten. Dass ihnen Wohnungsbesichtigungen verweigert wurden mit der Begründung, man wolle jetzt keine Chinesen im Haus haben.

Noa Kerstin Ha vom Zentrum für Integrationsstudien der TU Dresden bestätigte gegenüber der taz einen deutlichen Anstieg rassistischer Vorfälle und erzählte auch von eigenen Erfahrungen. Davon etwa, dass Mitfahrende ihre beiden 12 und 14 Jahre alten Söhne in einer Berliner U-Bahn aufforderten, zu verschwinden, weil sie angeblich das Virus mitbrächten. Die Migrationsforscherin verwies auf das Phänomen des „Otherings“. Man schiebe die Schuld für Probleme „den Anderen“ zu, bestimme Sündenböcke, was sich gerade in der Medizingeschichte nachweisen lasse: Seuchen und Gefahren werden immer wieder vermeintlich von „den Anderen“ eingeschleppt.

„Die Anderen“, das waren auch die Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien, die Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) für den Corona-Ausbruch in einem Fleischbetrieb in Rheda-Wiedenbrück verantwortlich machte. Auf die Frage von Journalist*innen, was der Ausbruch über die bisher erlassenen Lockerungen aussage, antwortete Laschet: „Das sagt überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da das Virus herkommt.“ Dass die Migrant*innen unter menschenverachtenden Bedingungen arbeiten müssen, die zu Virus-Zeiten lebensbedrohlich wurden, machte Laschets rassistische Aussagen nur noch perfider.

Das Bild des „deutschen Volkskörpers“, der eigentlich immun ist, aber von Parasiten, also von außen befallen und bedroht wird, hat eine lange Tradition und es sitzt tief in den Köpfen und den Institutionen. Es ist die Konsequenz der Vorstellung eines vermeintlich homogenen deutschen Volkes, das in seiner Reinheit stark und überlegen ist.

„In Neukölln müsst Ihr aufpassen“, sagte die Mutter einer Freundin am Telefon. „Da wohnen ja die ganzen muslimischen Familien, die ihre Clanfeste machen und sich nicht an unsere Regeln halten.“ Vorsicht, wenn Ihr denen auf der Straße begegnet!

Das stand schließlich in der Welt. Da hieß es, bei „Clan-Hochzeiten“ käme es zu Ansteckungen, und in der Bild bekräftigte Ahmed Mansour, „Clan-Hochzeiten“ würden in Metropolen zu Corona-Treibern. Er bestätigte so die rassistische Aufteilung in „wir“ und „die anderen“, die erstens vermittelt, muslimische Menschen seinen nicht Teil der deutschen Gesellschaft, und zweitens eine Schuldzuweisung vollzieht: „Eine Minderheit gefährdet mit ihrem Verhalten uns alle.“

So lautet(e) die Verbindung der beiden rechtspopulistischen Strategien, der Kritik an den Maßnahmen mit der Schuldzuweisung an andere: Die armen Leute — und das sind natürlich nur diejenigen mit vermeintlich deutschem Erbe, biologischer oder zumindest kultureller Art — müssen es ausbaden, während Flüchtlinge, Muslim*innen, Sintizze und Romnja das Virus einschleppen und verbreiten und dann machen, was sie wollen.

Als in der Erstaufnahme von Suhl in Thüringen im März 2020 alle 533 Asylsuchenden wegen eines einzelnen Krankheitsfalls in Quarantäne kamen, kritisierten die Flüchtlingsräte entsetzt, man lege es auf Durchseuchung an. Und als sich die Menschen in der Einrichtung gegen die Einschließung wehrten, Menschen, die zum Teil von Krieg, Folter und Flucht traumatisiert waren, stürmten Spezialkräfte mit Masken, Schutzbrillen, Schutzanzügen und Waffen das Heim. Im AfD-Mitgliedermagazin stand über diesen Vorgang: „Die Bewohner randalierten und versuchten mit äußerster Brutalität, die Einrichtung zu verlassen. Sie nahmen sogar kleine Kinder als Schutzschilder, um die Polizei in ihrer Arbeit zu behindern.“ So wurden die Tatsachen verdreht und kolonial-rassistische Bilder von unzivilisierten Wilden bedient, die sich nicht an Regeln halten könnten. In Sachsen, so behauptete die AfD  etwa zur gleichen Zeit, „ziehen die Migranten weiterhin in großen Gruppen durch die kleinen Städtchen Schneeberg und Zschorlau. (…) Die Bürger sind verunsichert, fragen sich bereits, ob die Maßnahmen zur Kontaktvermeidung für Migranten nicht gelten würden. (…) Die Migranten sind nicht zu stoppen.“

Auch Tichys Einblick berichtete am 14. April 2020 über den Corona-Ausbruch in einer Erstaufnahmeeinrichtung, in Stern-Buchholz, einem Außen-Stadtteil von Schwerin. Hier würden sich die „schlimmen Ausmaße des Flüchtlings-Chaos“ zeigen: Das Corona-Virus sei in der Unterkunft ausgebrochen und keiner halte sich an die Regeln.

Die Kommentator*innen unter dem Artikel auf Facebook brachten ihre rassistischen Vernichtungsphantasien schließlich direkt zum Ausdruck: „Einfach nur aufpassen, dass keiner das Gelände verlässt und gut ist’s.“ oder: „Verteilt euch und vernichtet diejenigen die schon länger hier leben.“ Dafür gab es jeweils duzende Likes.

Auch in anderen Ländern instrumentalisierten Rechtspopulist*innen das Coronavirus für ihre Zwecke. So forderte etwa der FPÖ-Politiker Herbert Kickl, von 2017 bis 2019 Innenminister Österreichs, auf YouTube in einem Video pauschal Quarantäne „für illegale Zuwanderer“. Trump behauptete, Migrant*innen seien für die Ausbreitung der Infektion in den USA verantwortlich, Orbán brachte das Coronavirus mit „illegalen Migranten“ in Ungarn in Verbindung und Salvini verlautbarte, Menschen hätten es aus Afrika überhaupt erst nach Italien gebracht.

Derlei Stimmungsmache befördert die gezielten Bewegungseinschränkungen für Migrant*innen und Geflüchtete, die der amerikanische Ethnologe Steven Vertovec gerade an weit voneinander entfernten Orten beobachtete: an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, in Griechenland, im Libanon, in Bosnien und in Singapur.
Einschränkungen, die mehr als Reaktion auf rechtspopulistische Kräfte allerorts zu sehen sind als auf das Virus. Eine Pandemie  lässt sich nur mit Rücksicht auf die Schwächsten bekämpfen. Im Kampf gegen Corona bedingen Solidarität und Effizienz einander.