Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Januar 2018
„Ich will als Mann auch mal das Recht haben zu weinen“, sagt Martin Sellner, und grinst. „Scherz beiseite.“ Nein, weinen will er natürlich nicht – er ist als Mann schließlich zu anderem geboren. Im Gegensatz zur Frau, wie Sellner, Videoblogger und Chefstratege der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ in Österreich, auf youtube erklärt. Er interviewt eine Kollegin von den Identitären, die bestätigen soll, was er eh schon weiß: Dass Frauen von Natur aus emotionaler sind als Männer. Dass sie sich deshalb als Politikerinnen nicht eignen. Und vielleicht nicht einmal als Wählerinnen. Denn sie würden sich mit Bildern von Flüchtlingskindern manipulieren lassen. Deshalb würden sie dann die Parteien wählen, die „die Grenzen aufreißen“, was dazu führe, dass sie „vergewaltigt werden und Schleier tragen müssen“. Hätten Frauen nicht mitgewählt in Europa in den vergangenen 20 Jahren, gäbe es keine „Masseneinwanderung“, keine „Islamisierung“. Schuld an allem Übel ist also der Feminismus, weil er die Frauen entgegen ihrer Natur vom Herd getrennt hat – das ist die Quintessenz von Sellners Videos zur „Frauen-Frage“. Das ist die Ansicht, die er mit seinen Verbündeten in Deutschland und in den USA teilt, mit Politkern und Aktivisten von der AfD und der Altright-Bewegung.
Es zeigt sich immer deutlicher, dass Sexismus und Frauenverachtung Triebkraft der Neuen Rechten sind. Dass der Hass auf Feminismus und den vermeintlichen „Gender-Wahn“ all jene verbindet, die sich im „Kulturkampf“ wähnen. Genauso wichtig wie die Schließung der Grenzen scheint der AfD die Abschaffung der Gender-Studies zu sein, die die kulturelle Bedingtheit von Männlichkeit und Weiblichkeit erforschen. „Männlichkeit ist kein soziales Konstrukt“ lautete einer der Wahl-Slogans und auf dem Plakat war eine Ritterrüstung zu sehen: Der Mann ist stählern, unzerstörbar. Er soll endlich wieder seiner Natur entsprechen dürfen, das fordert auch Björn Höcke, wenn er ruft: „Wir brauchen mehr Männlichkeit.“
Dazu muss der Gegenpart, die Frau, ebenfalls wieder auf den Platz, den die Natur ihr bereithält: Auf dem Plakat wiegt sie ein Baby im Arm. In dieser Ordnung ist klar, wer das Sagen hat. Deshalb findet Frauke Petry auch die Kampagne #Metoo falsch: Die Frau sei nunmal von Natur aus das schwächere Geschlecht. Darüber brauche man sich nicht zu beschweren. Sie habe sich zu fügen und zur Verfügung zu stehen. Das ist auch die Grundhaltung der Szene der Pick-Up-Artists, die mit den Rechten eng verwoben ist. Pick-Up-Artists bringen anderen Männern in Workshops bei, „männlicher“ zu werden, das heißt: Frauen ins Bett zu kriegen, wann immer ihnen danach ist. Die Soziologin Franziska Schutzbach schreibt, das Phantasma von einer Wiederaneignung dominanter Männlichkeit in der Pick-Up-Szene wirke wie eine Einstiegsdroge in rechtsnationale Weltanschauungen: Männer, die sich vom angeblich grassierenden Feminismus klein gehalten fühlen, schlussfolgern, dass die Verweichlichung des westlichen Mannes zur Schwächung nationaler Souveränität und zur baldigen Machtübernahme durch Muslime führt.
Dass faschistische Männer Frauen mit Fluten und Strömen assoziieren, mit all dem, was die Nation und die männliche Identität gefährde, hat Klaus Theweleit schon im Buch „Männerphantasien“ geschrieben. In über 250 Romanen und Schriftstücken aus den 20er Jahren analysierte er dafür die furchterregenden Frauenbilder und Männlichkeitsphantasien faschistischer Freikorps-Soldaten. Ein Pendant zu den Männlichkeits-Übungen der Soldaten von damals findet sich heute im digitalen Raum, wo sich deutschsprachige Nazis nach militärischer Hackordnung organisieren und ihre misogynen Gewaltphantasien ausleben, auf „Reconquista Germanica“ etwa, aber auch in diversen Facebook-Gruppen. „Diese Nutte gehört totgebumst und zerhackt“, hieß es da über die Bundessprecherin der Linksjugend, oder zu einem Bild einer Frau mit einem vermeintlichen Migranten: „Negernutte“, „Abartig“, „Verräterin der weißen Rasse“.
„Die Argumentation geht bis zum Topos der Rassenschande“, sagt der Politologe Sebastian Dörfler, der zu Antifeminismus in der Neuen Rechten forscht. „Der Frau werden Eigenschaften als natürlich zugeschrieben, die sie zu einer permanenten Bedrohung für die innere Ordnung der Volksgemeinschaft machen.“ Zu einer Bedrohung für diejenigen, die an diese Ordnung glauben. Und für diejenigen, die von der patriarchal organisierten Familie als Keimzelle der Volksgemeinschaft profitierten, die etwa die Jobs noch unter sich aufteilen konnten, bevor die Frauen und die Migranten kamen. Ronald Reagan erklärte schon Anfang der 80er, dass an der zunehmenden Arbeitslosigkeit nicht so sehr die Rezession, sondern viel mehr berufstätige Frauen schuld seien, die immer mehr Jobs wegnähmen.
Diese patriarchale Argumentation schafft es, zwei Gruppen zu vereinen, deren Interessen eigentlich entgegengesetzt sind: Neoliberale wie Trump, die auf die Freiheit und Verantwortung der Einzelnen setzen, die keine Steuern zahlen wollen, weil sie sich ihren Reichtum in ihren Augen selbst erkämpft haben, und Neokonservative, von denen einige einst links waren, die unter dem zunehmenden Abbau des Sozialstaats leiden, die Verantwortung aber nicht in einer neoliberalen Politik suchen, sondern in „Multi-Kulti“ und Feminismus. Dieser rechten Logik kommt auch Sigmar Gabriel nah, wenn er schreibt, die SPD habe sich zu sehr mit Fragen der Gleichstellung etwa von Homosexuellen beschäftigt, statt mit den Arbeitern. Auch er spielt Klassenpolitik und Queer-Feminismus gegeneinander aus, statt den Menschen klarzumachen, dass sie gemeinsam um Teilhabe kämpfen müssten. Leichter ist es, in die populistische Klage einzufallen, gender-neutrale Toiletten seien schuld am vermeintlichen Zerfall der Gesellschaft.
Um sich vor dem völkischen Flügel der AfD zu behaupten, muss Alice Weidel, die offen lesbisch ist, laut gegen den „Gender-Wahn“ hetzen – auch wenn es manchen widersprüchlich erscheint. Einer der extremsten Antifeministen der Neuen Rechten ist ebenfalls homosexuell und behauptet, dass Schwul-Sein und Antifeminismus natürlich zusammengehören: Männerliebende Männer müssten aufhören, sich mit den schlimmsten Feinden der Männlichkeit, den Feministinnen zu verbünden. So brüllt es Jack Donovan, ein ehemaliger Bodybuilder, der jetzt erfolgreich Bücher wie „Der Weg der Männer“ schreibt, den rechten Massen entgegen. Der amerikanische White Supremacist tourt um die Welt, damit alle weißen Männer werden wie er: Muskelbarbaren, die miteinander in Horden leben und mit Blut- und Jagdritualen ihre phallische Gemeinsamkeit feiern, um so über Frauen, Kinder, Schwarze, Schwächere zu herrschen. Manche der rassistischen Männerrechtler gehen sogar soweit, die „White Sharia“ zu fordern: „Wir wollen, dass Frauen wieder den Status haben, den sie im 19. Jahrhundert hatten, bevor der Feminismus unsere Zivilisation ruinierte“, heißt es etwa im Daily Stormer, einer der Webseiten der „Alt Right“ Bewegung.
Wie das angeschossene Tier ist auch das untergehende Patriarchat, so die Soziologin Schutzbach, womöglich gefährlicher als das Patriarchat selbst.