Die Lagerunterbringung von Asylsuchenden in Zeiten von Corona zeigt, dass Menschenleben hierzulande als unterschiedlich wertvoll gelten.

analyse & kritik 660
Mai 2020

Schweinfurt: Die ersten Corona-Fälle im Ankerzentrum werden Mitte März bekannt. Ein 60-jähriger Armenier hat Vorerkrankungen, er braucht besonderen Schutz, wird aber lediglich in ein anderes Gebäude innerhalb des Lagers verlegt. Auch dort schläft er im Mehrbettzimmer, das Virus befällt ihn. Am 21. April stirbt er im Krankenhaus.

München: In einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft steckt sich ein 35-jähriger Mann aus Afghanistan Anfang April bei einem Mitbewohner an. Er klagt über heftige Kopfschmerzen, Halsweh und Fieber, am Telefon einem Arzt gegenüber, getestet wird er erst vier Tage später. Sein Zustand verschlimmert sich, es vergehen weitere Tage, bevor er ins Krankenhaus kommt. Dort stirbt er am 26. April.

Irgendwo in Deutschland: Ein 80-jähriger Mann aus Afghanistan stirbt Anfang Mai an den Folgen von Corona. Nach zehn furchtbaren Jahren der Flucht stand ihm ein friedlicher, vielleicht gar fröhlicher Lebensabend bevor. Bis ein Mitbewohner in der Gemeinschaftsunterkunft fast seine gesamte Familie ansteckte. Der Verstorbene wird nicht offiziell als Virus-Opfer aufgeführt.

Wie viele weitere Menschen sind schon gestorben, nachdem sie sich in Geflüchtetenunterkünften mit Corona infizierten? Und: Hätten diese Tode verhindert werden können, wenn die gängigen Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus auch denen ermöglicht worden wären, die hierher geflohen sind?

Am Umgang mit Asylsuchenden in Zeiten von Corona zeigt sich erneut, dass Menschenleben nicht als gleich viel wert gelten. Es zeigt sich nicht nur an der katastrophalen Lage von Geflüchteten in den Lagern an den Außengrenzen, im Mittelmeer und auf der Balkanroute. Es zeigt sich in fast allen Unterkünften in Deutschland. Und hier lässt sich die Verantwortung nicht der EU zuschreiben, nicht Griechenland oder Italien.

Idealer Nährboden für das Virus

Der erste Corona-Fall in einer Geflüchtetenunterkunft wurde am 11. März aus Heidelberg gemeldet. Inzwischen liegt die Zahl der Fälle bundesweit im dreistelligen Bereich. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte am 6. Mai, allein in den vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge betriebenen Unterkünften seien 425 Corona-Infektionen an 20 Orten in zwölf Bundesländern bestätigt. Es gibt kaum noch Unterkünfte ohne Covid-19-Erkrankungen. Flüchtlingsunterkünfte mit Hunderten Menschen sind ein idealer Nährboden für das Virus. Gerade Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen durchschnittlich zwischen 500 und 1.000 Menschen leben.

Erstaufnahmeeinrichtung heißen jene Unterkünfte, in die Asylsuchende gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland gesteckt werden. Diese Unterkünfte sind Provisorien, in denen man nicht bleiben kann, in denen Bett an Bett steht oder Container an Container, in denen Duschzeiten vorgegeben sind und die Zeiten für die Essensausgabe. In denen die Menschen ursprünglich maximal für ein paar Tage bleiben sollten, bis zu ihrem Umzug in eine Gemeinschaftsunterkunft, welche wiederum im Schnitt ein bisschen mehr Rückzug bietet. Doch die Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre erlauben es, Menschen bis zu 18 Monaten in den Lagern der Erstaufnahme festzuhalten. Dort bekommen sie kaum medizinische Versorgung, Sport- oder Spielmöglichkeiten werden nicht geboten, erst recht nicht in Unterkünften, die fernab von Wohngebieten liegen. Und so sehr sich die Standards in ganz Deutschland von Einrichtung zu Einrichtung unterscheiden: In allen Erstaufnahmen sind die Menschen ohne Intimsphäre auf engstem Raum zusammengepfercht. Bedingungen, die immer schon unmenschlich waren und nun lebensbedrohlich sind. Sobald das Virus eine Unterkunft erreicht, haben die Bewohner*innen kaum eine Chance, der Infektionsgefahr aus dem Weg zu gehen.

Wie im schwäbischen Ellwangen. Die ganze Unterkunft wurde am 5. April unter Quarantäne gestellt, nachdem sieben Geflüchtete positiv auf das Coronavirus getestet worden waren. Niemand durfte fortan das eingezäunte Gelände verlassen. Die Polizei bewachte es rund um die Uhr. Vier Wochen später waren von den 600 Geflüchteten nach offiziellen Angaben über 400 mit dem Virus infiziert. Mehrere Medien berichteten von mangelnden hygienischen Zuständen. Das Regierungspräsidium Stuttgart wies die Vorwürfe zurück, die Maßnahmen zur Unterbringung entsprächen den Empfehlungen des Ministeriums: Mehrmals täglich würden die Sanitätsanlagen gereinigt und infizierte Personen von ihren Mitbewohner*innen isoliert.

Die Aussagen von Bewohner*innen und ihre Videos lassen an den Informationen des Präsidiums zweifeln. Infizierte Bewohner*innen teilen sich weiterhin zu fünft Zimmer mit gesunden Menschen, sie teilen sich Toilettenräume und Gemeinschaftsduschen. Gereinigt werde selten. Essensrationen holen alle in der selben Kantine ab. Die Lagerleitung berücksichtige dabei nicht den besonderen Lebensmittelbedarf von schwangeren Frauen und kleinen Kindern, wie die Bewohner*innen auf der Plattform refugees4refugees berichten.

Als Sofortmaßnahmen fordern die Geflüchteten seit Wochen die dezentrale Unterbringung der Risikogruppen, z.B. in Ferienwohnungen, die Bildung von kleinen Quarantänegruppen außerhalb der Erstaufnahme und deren Unterbringung etwa in leerstehenden Hotels. Nichts davon wurde realisiert.

Verlegt wird, wer protestiert

Ellwangen ist kein Einzelfall: Bundesweit wurden etliche Geflüchtetenunterkünfte wegen Corona abgeriegelt. Was immer nur dazu führte, dass das Virus sich noch weiter ausbreiten konnte. In Halberstadt in Sachsen-Anhalt wurden Ende März rund 850 Menschen im Lager unter Quarantäne gestellt, nachdem bei einem Bewohner eine Infektion nachgewiesen worden war. Zäune wurden aufgestellt zwischen den einzelnen Wohneinheiten, Polizei rückte an. Das sind extrem angsteinflößende Maßnahmen für ohnehin schon traumatisierte Menschen. Laut Mamad Mohamad vom Landesnetzwerk Migrationsorganisationen in Sachsen-Anhalt (Lamsa) sei das Vorgehen den Bewohner*innen nicht gut erklärt worden. So hätten viele panisch gedacht, sie würden nun abgeschoben.

In Thüringen reagierten die Behörden ähnlich auf die ersten Corona-Fälle in der Erstaufnahme in Suhl. Die 533 Geflüchteten kamen in Quarantäne, und als sie protestierten, stürmte die Polizei das Heim. Spezialkräfte trugen weiße Schutzanzüge, Masken und Schutzbrillen, darüber ihre Waffen und Ausrüstung. In Nordrhein-Westfalen wurden sechs infizierte Bewohner*innen der Landeserstaufnahmeeinrichtung Bielefeld am 11. April in ein Gefängnis gesperrt, weil sie angeblich gegen Quarantäneanordnungen verstoßen hätten.

Mitarbeiter*innen in Unterkünften verteidigen das Vorgehen und fragen, was ihnen anderes übrig bleibe, als die Polizei zu rufen, wenn sich einzelne Bewohner*innen, die positiv auf das Virus getestet wurden, nicht an Quarantänevorschriften halten und damit andere gefährden. Die Sozialarbeiter*innen vor Ort sind überfordert. Sie haben keinerlei zusätzliche Ausstattung in der Krise erhalten. Sie sind es, die nun Hunderten von Menschen, die zum Teil unterschiedliche Sprachen sprechen, vermitteln müssen, warum sie ein bestimmtes Areal nicht verlassen dürfen. Oft führt dann auch der Mangel an Information dazu, dass einzelne Bewohner*innen sich nicht verantwortungsvoll verhalten. Und der Umgang der Behörden mit ihnen. Die Tatsache, dass die Behörden sich schließlich nicht verantwortungsvoll ihnen gegenüber verhalten, dass ihnen durch die Fortsetzung der Massenunterbringung in Zeiten von Corona vermittelt wird, ihre Leben seien nicht gleichermaßen schützenswert wie die der übrigen Bevölkerung.

In Bremen protestierten Geflüchtete ebenfalls gegen die Bedingungen in einer Erstaufnahmeunterkunft, in der Fälle von Covid-19 aufgetreten waren. Sunny Omwenyeke, ein Aktivist von Together we are Bremen, erzählt am Telefon, die Behörden hätten daraufhin begonnen, einzelne Menschen zu verlegen – und zwar diejenigen, die den Protest initiiert hatten. Eine Methode, mit der die Behörden den Widerstand der Geflüchteten zu brechen versuchen, das kenne er auch aus anderen Kontexten, sagt Omwenyeke, der schon lange Teil des Forums für Geflüchtete in Deutschland The Voice ist.

Doch die ersten Geflüchteten gehen juristisch gegen die Bedingungen vor, denen sie in den Lagern ausgesetzt sind, und auch der bayerische Flüchtlingsrat hat Anzeige gegen die bayerische Staatsregierung eingereicht. Der Vorwurf: Durch die Unterbringung von Geflüchteten in Mehrbettzimmern verstoße die Regierung gegen die geltenden Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie. In diese Richtung weist nun auch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig. Das gab der Klage eines Geflüchteten statt, die Erstaufnahmeeinrichtung zu verlassen, da die Abstandsregelungen dort nicht eingehalten werden konnten.

Dass die politischen Verantwortlichen diese Offensichtlichkeit verleugnen, passt zu allen Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre, deren Ziel vor allem die Abschreckung von Geflüchteten zu sein schien und die in jedem Fall die Bedingungen, in Deutschland Schutz zu erhalten, den Forderungen der AfD entsprechend sukzessive erschwerten.

Foto: Together we are Bremen