Dass Linke Antirassismus und Antisemitismus zunehmend gegeneinander ausspielen, untergräbt die Zusammenarbeit mit Betroffenen rechter Gewalt

zusammen mit Stefanie Lindner

analyse&kritik

September 2024

Im August 2024 fand in Erfurt das Klimacamp System Change statt. Der Schwerpunkt lag in diesem Jahr auf Antifaschismus – in Workshops und Podiumsdiskussionen sprachen die ca. 1.500 Besucher*innen darüber, dass der Kampf für Klimagerechtigkeit auch ein antifaschistischer ist.
Wir beide, die Autorinnen dieses Textes, sind Mitglieder der Berliner Initiative Rassismus und Antisemitismus gemeinsam bekämpfen (AnRa), die sich Mitte 2023 mit dem Ziel gegründet hat, das Gedenken an den rechten Terroranschlag in Halle in der (radikalen) Linken präsent zu halten. Eine von uns war beim Klimacamp, um dort einen Workshop zu geben. Dazu hatten wir auch die Menschen aus der Soli-Gruppe in Halle eingeladen, unter anderem Überlebende des Anschlags auf die Synagoge, mit denen wir unsere Arbeit eng abstimmen. Keine*r von ihnen hatte Zeit — im Nachhinein war es vielleicht besser so.

Das Programm versprach eine differenzierte Mischung an Beiträgen: Diskussionen zu Menschenrechtsverletzungen im Gaza-Krieg sollten genauso Raum finden wie jene zum Antisemitismus in der Linken. Letzterer zeigte sich dann leider auch direkt vor Ort, als in einem Workshop Israel-solidarische Menschen als faschistisch bezeichnet wurden wurden und denen, die das kritisierten, die Dreieck-Geste gezeigt wurde, die sich auf das rote Dreieck bezieht, mit dem die Hamas ihre Feinde markiert. Das Awareness-Team ignorierte die Drohgebärden, wie Dissens Antifa-Erfurt in einem Thread auf X beschrieb. In einem anderen Workshop, den Genossinnen besuchten, bezeichnete eine Referentin den 7. Oktober als effektiven Antiimperialismus. Darüber hinaus wurden Linke, die Kritik an Antisemitismus übten, aggressiv angegangen oder als Antideutsche gelabelt und mit Nazis gleichgesetzt.

Diese Erfahrung verstärkt unseren Eindruck, dass sich seit dem 7. Oktober eine Entwicklung in der deutschen Linken Bahn bricht, die eine der zentralen Errungenschaften der vergangenen Jahre in Frage stellt: die Allianzen unter Betroffenen rechter Gewalt und die Bündnisse mit ihren Unterstützer*innen aus verschiedenen linken Kreisen. Eine Errungenschaft, die nach der Selbstenttarnung des NSU erkämpft und erarbeitet wurde und heute angesichts der immer erfolgreicheren rechten Mobilisierung notwendiger denn je ist. Eine Errungenschaft, die in Gefahr ist, wenn Linke Antisemitismus und Rassismus hierarchisieren und gegeneinander ausspielen.

Der Anschlag in Halle hat brutal verdeutlicht, wie antisemitischer, rassistischer und misogyner Hass in der rechten Ideologie miteinander verwoben sind. Am 9. Oktober 2019 ermordete dort ein Rechtsterrorist Jana L. und Kevin S. und verletzte und traumatisierte mehrere Menschen – darunter die Besucher*innen und die Betreiber eines Döner-Imbiss`, den Schwarzen Passanten Aftax Ibrahim und fast 50 Juden*Jüdinnen, die an diesem Tag Yom Kippur in jener Synagoge feierten, die der Täter ursprünglich schwer bewaffnet stürmen wollte.

In den fast fünf Jahren seit dem Anschlag setzten die Überlebenden diesem rechten Terror eine besondere Solidarität entgegen: Betroffene von Rassismus und Betroffene von Antisemitismus kämpften zusammen mit Unterstützer*innen aus der Stadtgesellschaft und aus linken Strukturen für eine Aufarbeitung des Anschlags, für ein angemessenes Gedenken und gegen Rechtsextremismus.
Hier schließen wir als Initiative an. Wir wollen dafür sensibilisieren, dass Rassismus und Antisemitismus aus einer antifaschistischen, emanzipatorischen Bewegung heraus zusammen gedacht und zusammen bekämpft werden müssen.

Warum ist das seit dem 7. Oktober 2023 schwieriger geworden?

Seit dem 7. Oktober 2023 hat in Deutschland antisemitische und rassistische Gewalt zugenommen. Zeitgleich spalten und entfremden sich in der Linken antirassistische Gruppen und Gruppen, die Antisemitismus fokussieren, zunehmend voneinander.
So scheint das Leid der Menschen in Gaza manche Linke, deren Israel-Solidarität absurderweise auch Kritik an der Netanyahu-Regierung tabuisiert, nicht zu berühren. Jene Linken bleiben auch leise, wenn deutsche Institutionen antiarabische Ressentiments verbreiten und all jene, die als Palästinenser*innen oder deren Unterstützer*innen gelesen werden, unter Generalverdacht stellen – wie es bei den Verboten palästinasolidarischer Demonstrationen oder des Tragens von Kufiyas an Berliner Schulen der Fall war. Aus den Kreisen dieser Linken war keine Kritik am autoritären Durchgreifen der Polizei gegenüber all jenen zu vernehmen, die sich den Verboten widersetzten — und das, obwohl in Deutschland unzählige Menschen mit palästinensischen Familiengeschichten leben, die mit Grauen auf das Leid von Verwandten und Freund*innen in Gaza und im Westjordanland blicken. Manche Linke schienen die gewaltsamen Polizeieinsätze sogar noch zu beklatschen.

Zahlenmäßig scheint uns diese Fraktion in der Linken deutlich kleiner als jene zweite, die auch global viel stärker ist: deren Antirassismus sich vor allem auf Antikolonialismus fokussiert und oft Israel ohne historische Kontextualisierung einem vermeintlich imperialen Staatenblock zuschreibt. In vereinfachter Kapitalismuskritik werden hier antisemitische Stereotype von einer jüdischen Elite reproduziert oder zumindest weggesehen, wenn islamistische Aktivist*innen auf Demos sie verbreiten.

Und so ist die Zunahme von Antisemitismus zum Teil der Linken selbst zuzuschreiben, die die Kritik daran aufgibt bzw. als „antideutsch“ denunziert oder selbst mit antisemitischen Versatzstücken operiert. Sie ist aber auch weiterhin mindestens genauso auf die rechtspopulistischen Mobilisierungen in Deutschland zurückzuführen. Sie zeigt sich auf der Straße, im öffentlichen Raum, in allen gesellschaftlichen Bereichen und wird dabei immer brutaler: Zugenommen haben feindliche Parolen gegen Jüdinnen*Juden, Schmierereien an Hauswänden, aber auch körperlich gewaltvolle Angriffe, etwa Bedrohungen mit Messern und schwere Körperverletzungen. Nach einer europaweiten Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) geben 2024 76 Prozent der befragten Jüdinnen*Juden an, ihre jüdische Identität „zumindest gelegentlich“ zum eigenen Schutz zu verbergen. 80 Prozent der Befragten haben das Gefühl, der Antisemitismus habe sich verschlimmert.

Islamismus und rechte Ideologie passen in ihrem Hang zu Autoritäten und Autoritarismus zusammen, und sie sind sich einig in vielen Feindbildern: jüdische Menschen, Feminist*innen, queere Menschen, Homosexuelle. Deshalb ist es ein Hohn, wenn die AfD sich als kritische Stimme gegen Islamismus verkauft — und es ist auch ein Hohn, wenn Linke Islamismus nicht verurteilen.

Die wachsende Indifferenz in der Linken gegenüber islamistischen Kräften – keine zwei Jahren, nachdem die Bewegung gegen islamistische Frauenunterdrückung in Iran weltweit linke Solidarität mobilisiert hat – geht Hand in Hand damit, dass Linke Betroffene von Antisemitismus vergessen oder sie manchmal sogar als Problem markieren. Verkürzte Lesarten eigentlich emanzipatorisch angelegter Critical Whiteness Theorien tragen ebenfalls dazu bei, dass Jüdinnen*Juden als „weiß“ und damit privilegiert gelesen werden.

Der transnationale Austausch auf Social Media, der mittlerweile ganze Generationen politisiert, fördert die Vereinfachung von Diskursen und Positionen: Auf den Plattformen bekommen jene Posts die meisten Likes, die am meisten polarisieren, die am stärksten in Freund und Feind unterscheiden. So greift der autoritäre Gestus, den eine emanzipatorische Linke eigentlich herausfordert, in den eigenen Reihen um sich.
Leute, Gruppen und Orte werden eingeordnet. Vermeintlich „Antideutsche“ werden mit einem roten Dreieck markiert — und es scheint, dass zunehmend alle als antideutsch gelten, die dezidiert Antisemitismus anprangern. Orte wie die linksradikale Flora in Hamburg, linke Hausprojekte in Berlin wie die Scharni oder die Magda und linke Clubs wie das ://aboutblank haben diese innerlinken Angriffe in den vergangenen Monaten erlebt. Dass all diese Orte heterogenen Gruppen, Kollektiven und Veranstaltungen Räume bieten und dass die Nutzer*innen und Bewohner*innen ebenso heterogen sind, scheint dabei keine Relevanz zu haben. Ebensowenig wie die Tatsache, dass alle diese Orte seit Jahren einen Beitrag zu antirassistischen Kämpfen leisten.

An vielen dieser Orte fanden zentrale Auseinandersetzungen der radikalen Linken mit dem eigenen Rassismus, mit der Ignoranz und dem Paternalismus im Umgang mit Überlebenden rechten Terrors statt. Die Überzeugung, dass linksradikale Praxis auch bedeuten muss, Empathie mit Betroffenen rechter Gewalt aufzubringen, ihnen zuzuhören und zusammenzuarbeiten, hat sich erst in den vergangenen Jahren etabliert. Betroffene selbst haben sie nicht zuletzt im Rahmen der NSU-Tribunale erkämpft und dabei unter anderem auch jene linken Orte genutzt und verändert, die nun zu Angriffszielen werden.
Gewaltsame innerlinke Angriffe gab es in Leipzig auch in die andere Richtung etwa gegen ein BIPoC-Hausprojekt, das infolge des Angriffs mehr Repression durch die erhöhte Aufmerksamkeit fürchtet.

Aktuell macht die Rechte ihren parlamentarischen Einfluss geltend und wird diesen nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg weiter ausbauen. Die Angriffe der extremen Rechten — zuletzt auf die Pride in Bautzen — verdeutlichen die Notwendigkeit antifaschistischer Antworten darauf.

Gerade jetzt sollten Betroffene und Überlebende rechter Gewalt umfassende Solidarität aus der radikalen Linken erfahren, nicht nur partielle Solidarität. Und dafür braucht es Räume, in denen diese Solidarität praktisch werden kann. Rechter Terror trifft in Deutschland vor allem migrantisierte Menschen, muslimisch gelesene Menschen, Sinti*zze und Rom*nja, Schwarze Menschen genau wie jüdische Menschen und alle weiteren, die nicht ins rechte Weltbild passen. Wenn sich linke, antifaschistische Räume und Orte für Betroffene von Antisemitismus schließen, reproduziert sich die Gewalt. Wenn Linke rassistische Mobilisierungen von staatlicher Seite gutheißen, ebenso.