Donna Zuckerberg hat ein Buch über frauenhassende Männerrechtler geschrieben, die sich im Internet organisieren und die Antike lieben. Im Interview spricht die Schwester des Facebook-Gründers über Pick-up-Artists, soziale Medien und norwegische Massenmörder.

Frankfurter Allgemeine Quarterly 12
September 2019

Frau Zuckerberg, Ihre drei Geschwister und Ihr Mann arbeiten im Silicon Valley, dort, wo die Zukunft geplant wird. Sie haben sich für das Gegenteil entschieden: Für den Blick zurück in die Antike. Warum?

Donna Zuckerberg: Im College habe ich mich in antike Literatur und in die alten Sprachen verliebt. Außerdem zeigt erst der Blick zurück, wo es hingeht. Im antiken Griechenland entstand so viel von dem, was uns bis heute prägt.

Um die Verbindung der Antike mit der modernen Welt geht es auch in ihrem Online-Magazin „Eidolon“. Eine außergewöhnlich progressive Publikation für Althistoriker.

Der Name ist eine Referenz auf ein Stück von Euripides: Ein Eidolon ist wie ein Phantom. Mit unserem Magazin Eidolon wollte ich ein Phantom traditioneller Fachzeitschriften erschaffen, etwas, das so aussieht wie ein klassisches Wissenschaftsmagazin, aber ganz anders funktioniert, etwa nicht nur Fachleute, also Althistoriker anspricht. Mit meinem Redaktionsteam veröffentliche ich seit April 2015 kurze, informelle Essays, die auch jenseits der Universitäten Interesse wecken sollen.

Dass sie das auch in der Manosphere tun würden, in der Szene der Männerrechtler, hätten Sie aber nicht gedacht, oder?

Nein. Ich kannte Männerrechtler bis dahin nur von feministischen Webseiten, in deren Kommentar-Spalten sie ihren antifeministischen Hass niederschreiben. Dass die was mit der Antike, erst recht mit den Stoikern zu tun hätten — darauf wäre ich nicht gekommen. Doch ein paar Monate nach dem Launch von Eidolon veröffentlichten wir einen Text zur Frage, warum die Stoa, eine der großen philosophischen Lehren der Antike, gerade so in Mode ist. Unsere Autorin bezog sich auf Artikel in der New York Times und im Atlantic, die beide stoische Ideen verbreiteten. Sie schrieb, Stoizismus passe zu unserer gegenwärtigen Weltsicht, weil er all denen, die nicht an Gott glauben, Orientierung gäbe, indem er das Prinzip einer übergeordneten Vernunft empfähle. Außerdem habe er auch Formen von Körper- und Geistesübungen geprägt, wie man sie in der Psychotherapie, im Yoga oder in der Meditation fände.

Das klingt menschenfreundlich und sympathisch.

Ist es auch. Die Stoa ist keine Philosophie für Leute, die rumpöbeln. Sie leitet genau im Gegenteil dazu an, sich nach Innen zu wenden, bewusster mit den eigenen Gefühlen und Regungen umzugehen. Doch als ich die Reaktionen auf den Artikel verfolgte, realisierte ich, dass die Stoa besonders bei Männerrechtlern angesagt ist. Als ich nur ein bisschen googelte, offenbarte sich, wie sehr die „Red Pill“-Bewegung sie für ihre Zwecke nutzt.

Für welche Zwecke? Was ist die Red Bill Bewegung?

„The Red Pill“ heißt eines der Foren auf Reddit, einem Chat-Portal im Internet, und dieses Forum ist einer der zentralen Kommunikationskanäle der Männerrechtsbewegung in den USA. Männerrechtler glauben, Frauen und vor allem Feministinnen würden unsere Gesellschaft heimlich dominieren. Diese Typen sprechen von der „Red Pill“, die ihnen den Blick auf die Wahrheit eröffne — das ist eine Referenz auf den Film Matrix, in dem der Held Neo sich dazu entscheidet, die rote Pille der Wahrheit zu schlucken und sich nicht weiter einer Illusion über die Welt hinzugeben. Diejenigen, die heute „The Red Pill“ schlucken, sehen sich als Neos der Geschlechterverhältnisse, als rationale Realisten, die erkennen: Dass Frauen manipulativ, statusgeil und Lügnerinnen sind.

Und diese Typen machen sich die Stoa zu eigen?

Als ich 2015 mit der Recherche auf „The Red Pill“ begann, wurde mir bewusst, wie wichtig der Antifeminismus für die gesamte rechte Szene in den USA ist — und wie wichtig dafür wiederum der Bezug auf die Antike ist. Nach der Wahl von Trump wurde das für alle offensichtlich: Plötzlich waren überall diese Männer, auch jenseits der einschlägigen Internet-Foren, die davon sprachen, dass die Wurzeln der westlichen Zivilisation im antiken Griechenland lägen.

Was ist falsch daran zu sagen, die Wurzeln der westlichen Zivilisation lägen in der Antike?

Es ist ein Code. Es soll heißen: Weiße Männer haben unsere Zivilisation aufgebaut und sind deshalb legitimiert, sie weiter zu dominieren und andere zu beherrschen, Frauen, Schwarze.

Wie nutzen die Maskulinisten speziell die Stoa dafür?

Man kann sie auf eine Weise lesen, die nahelegt, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen und etwa all die Menschen auszublenden, die über Machtverhältnisse und Privilegien reden wollen.

Eine neoliberale Lesart der Stoa?

In gewisser Weise ja: Alle sind jeweils für sich selbst verantwortlich. Das ist eine Lesart, die besonders diejenigen anspricht, die eigentlich alle möglichen Vorteile in unserer Gesellschaft genießen, aber denken, ihr Leben sei hart — und das ist es ja auch, weil Leben an sich nunmal sowieso für alle hart ist, selbst für die Privilegierten, also die weißen Männer. Der andere Aspekt der Stoa, den Männerrechtler aus dem Kontext reißen und missbrauchen, ist ihre Betonung der Vernunft. Die Stoa lehrt ja tatsächlich, dass diejenigen, die ihre Vernunft nutzen, der Dinge erhaben sein können. Und die Maskulinsten lesen daraus, dass sie im Gegensatz zu Frauen, queeren und schwarzen Menschen vernunftbegabter sind.

Glauben diese Typen, sie seien von Natur aus vernünftiger oder weil sie sich als Experten der Stoa wähnen?

Beides. Es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Sie sind schon rassistisch und sexistisch, glauben also an ihre Überlegenheit als weiße Männer und lesen dann eklektisch Auszüge von Autoren der Stoa, die ihre Überzeugung stärken und ihnen vermitteln, dass sie durch genau diese Lektüre noch einmal vernünftiger und tugendhafter würden.

Es sind nicht nur die Stoiker, an denen sich die Maskulinsten erfreuen. In Ihrem Buch zeigen Sie auch, dass die Pick-Up-Artists, jene Männer unter den Maskulinisten, die anderen beibringen, Frauen rumzukriegen, etwa auf Ovid zurückgreifen.

Ich möchte das nicht überstrapazieren. Es sind nicht alle Pick-Up-Artists interessiert an Ovid, aber die Lektüre von Ovids Texten verändert sich, wenn man sie neben die aktuellen Anleitungen der Pick-Up-Artists legt. Es zeigt sich, wie sexistisch schon die Ursprünge jener Kunst sind, die bis heute als die der Verführung in unserer Gesellschaft gilt.

Also gab es doch auch patriarchale Anteile in den antiken Schriften selbst? Worin waren denn zum Beispiel die Stoiker in Ihren Augen tatsächlich sexistisch?

Sie waren so sexistisch wie es die Gesellschaften damals waren: Frauen wurden ausgeklammert aus dem öffentlichen Leben, wurden zum Schweigen gebracht. Wir müssen sehen, in welchem Kontext die Texte entstanden sind und wie sehr sie wiederum auch unsere Gesellschaft weiter prägen — und wie schädlich es ist, wenn wir die frauenverachtenden Anteile nicht kritisch reflektieren. Dass wir dann viel eher zulassen, dass Maskulinsten sich die Schriften aneignen. Dass sie Zitate aus dem Kontext reißen, andere das aufgreifen und so insgesamt ein falsches Wissen über die Antike Verbreitung findet.

Dieses falsche Wissen findet vor allem über Social Media Verbreitung. Sie haben betont, dass die maskulinistische Szene ohne Facebook und Co nicht so groß geworden wäre.

Das wird immer wieder geschrieben. Ich bin aber nicht so kritisch gegenüber Social Media wie es die Menschen wohl gern hätten. Es ist wichtig zu verstehen, dass Social Media alles verändern, die Art, wie Öffentlichkeit hergestellt wird, wie Ideen und Informationen sich verbreiten, dass sie Kommunikation grundsätzlich verändern. Es braucht einen totalen Perspektiv-Wechsel. Regeln, die einmal für die Herstellung von Öffentlichkeit galten, für Massenmedien, sind überholt.

Das heißt, es braucht neue Regeln?

Ja.

Soll Facebook regulierter sein?

Ich werde nicht über Facebook sprechen, aber über Social Media im Allgemeinen. Regulierungen, die von Leuten entwickelt werden, die verstehen, wie die neuen Medien funktionieren, wären gut, ja. Leider habe ich nicht den Eindruck, dass die Mehrheit der Politiker dafür geeignet wäre. Also bleibt die Frage: Reguliert von wem? Von der Trump-Administration? Nein danke! Deren Mitglieder verstehen entweder das Internet überhaupt nicht oder sie sind darin selbst als frauenfeindliche Aktivisten unterwegs.

Wie gefährlich ist die Bewegung der Männerrechtler?

In den letzten Jahren gab es Massenmorde in den USA, deren Täter enge Verbindungen zur Szene der Maskulinsten unterhielten oder die sogar explizit durch Frauenverachtung motiviert waren.

Auch der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik tötete, wie er in seinem Manifest schrieb, aus Hass auf den Feminismus, weil der die sogenannte abendländische Kultur angreife.

Weiße Nationalisten wollen die Kontrolle über die Reproduktion des Volkes und damit die Kontrolle über die Frau (zurück). Und sie bekommen sie: In Alabama wurde das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche schon komplett abgeschafft, egal, ob die schwangere Frau vergewaltigt wurde oder ihre Gesundheit gefährdet ist. Steven Miller, ein rechtsextremer Antifeminist, ist einer der Hauptberater von Trump. Die Gefahr, die von den Männerrechtlern ausgeht, kann kaum unterschätzt werden. Aber man muss total aufpassen, wie man darüber spricht, um nicht als Hysterikern abgetan zu werden.

 

Bild: Cover des Buchs „Not all Dead White Men“ von Donna Zuckerberg