Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Februar 2018
Der Guardian schreibt, er sei der wichtigste kanadische Denker seit Marshall McLuhan, und die New York Times nennt ihn den einflussreichsten Public Intellectual der Gegenwart. Jordan Peterson.
Sie haben noch nie von ihm gehört? Keine Sorge: Auch Journalisten war er vor Kurzem noch kein Begriff. Bis Ende 2016 war Peterson ein unbekannter Psychologie-Professor an der Universität von Toronto. Dann führte Kanada ein neues Gesetz gegen die Diskriminierung von Menschen ein, die sich nicht auf ein Geschlecht festlegen und etwa mit geschlechtsneutralen Pronomen angesprochen werden wollen. Professor Peterson sagte vor einer Kamera, er werde sich nicht vorschreiben lassen, wie er spricht, und wenn er in Hungerstreik treten müsste zur Verteidigung der freien Rede gegen die Political Correctness. Das Video ging viral. Peterson gründete einen eigenen Youtube-Channel, um seine Lectures auch online zu halten.
Doch erst als im Januar sein Buch „12 Rules for Life. An Antidote to Chaos“ erschien und Peterson daraufhin zur Channel4-Talkmasterin Cathy Newman eingeladen wurde, war es soweit: Der „Peterson-Moment“ war gekommen, wie es in der New York Times hieß. In dem Interview versuchte Newman eine halbe Stunde lang, Peterson einer sexistischen Logik zu überführen. Doch Peterson argumentierte nicht sexistisch. Er saß dort, eher schmal und zurückgenommen, referierte ruhig seine Studien aus der klinischen Psychologie zur Frage nach dem Gender Pay Gap und hielt seine feingliedrigen Hände im Schoß verschränkt. Er sagte etwa, ein Grund dafür, dass Frauen weniger verdienen, sei, dass sie weniger konfrontativ aufträten. Newman wurde drängender und begann ihre Sätze immer wieder mit: „Was Sie also wirklich meinen…“
Seitdem explodieren die Maschinen, wenn man nach Peterson sucht, stündlich kommen neue Einträge hinzu. Sein Buch schoß auf Platz 1 der Amazon-Bestseller. Mehr als sechs Millionen Menschen haben das Video von Channel 4 gesehen und kaum eine englischsprachige Zeitung hat nicht darüber geschrieben. Obwohl Peterson darin überhaupt nichts Neues sagt.
Für die Kommentatoren, die ihn feierten, offenbart sich in diesem Interview jedoch etwas anderes: Der Mann aus der Wissenschaft argumentiert logisch, während eine radikale Feministin ihn grundlos als Sexisten anprangert. Dass letztere auch noch eine Talkshow moderieren darf, bestätigt in den Augen seiner Anhänger genau das, was Peterson in seinen tausend Youtube-Videos beschwört: Eine postmoderne Invasion, die unsere westliche Zivilisation bedrohe, mit ihren Sprechverboten etwa.
Auch das ist keine besonders neue Behauptung, doch Peterson schafft es scheinbar, denjenigen, die ihr ohnehin schon glauben, einen Ausweg aufzuzeigen. Er ist ihr Messias. Jordan Peterson ist der Selbsthilfe-Guru des verwirrten Mannes, derjenige, der Ordnung in das intellektuelle Chaos der Trump-Ära bringen soll, der neue ideologische Anführer des konservativen Lagers, eines Lagers, das er weit zu spannen weiß.
In seinen Videos analysiert er biblische Texte, zitiert Nietzsche und Hobbes und referiert auf das Tierreich – um doch immer wieder zur gleichen Mission zu gelangen: Die Zuhörer, die ganzen jungen Männer, die dort vor ihren Laptops sitzen oder in der Vorlesung, sollen sich nicht verunsichern und entmutigen lassen von den postmodernen Mächten, sondern aufstehen, ihr Leben in die Hand nehmen und die Uni-Räume zurück erobern. Auch sein Buch hat er für diese jungen Männer geschrieben, die sich vaterlos fühlen, einsam, haltlos in einem chaotischen moralischen Vakuum, permanent übertroffen und erniedrigt von Frauen.
Das Buch beginnt mit dem „Lobster“: Jordan Peterson liebt Hummer, er schätzt sie als Vorbilder. Im Verhalten von Hummern erkennt er die ideale Gesellschaft. Auf mehreren Seiten führt er aus, wie Hummer kämpfen, wie sie sich fortpflanzen, wie sie ihre Hierarchie organisieren und welche Serotonin-Spiegel sie haben.
„Schau zur Inspiration auf den siegreichen Hummer mit seinen 350 Millionen Jahren an praktischer Weisheit“, schreibt Peterson. Und dann: „Steh aufrecht, nimm Deine Schultern zurück.“
Das ist der erste Rat, den Peterson den jungen Männern in seinem Buch erteilt. In der Einleitung erklärt er dessen Ursprung: 2012 habe er angefangen, auf dem anonymen Online-Forum „Quora“ Fragen zu beantworten – und die Leser seien begeistert gewesen. Vor allem seine Antwort auf die Frage „Was sind die wertvollsten Dinge, die jeder wissen sollte?“ sei beliebter gewesen als alles, was je auf diesem Forum geschrieben wurde. Es war also klar: Die Menschen brauchen seine Antworten. Antworten, die auf jedem Online-Marktplatz funktionieren – und auch im Buch in Großbuchstaben den Leser adressieren, als würde er sonst zu schnell weiterklicken: STEH AUFRECHT! Die Quintessenz: Wenn Du aufrecht stehst und täglich Dein Bett machst, dann kannst Du den Westen verteidigen. Der ist nämlich genauso bedroht wie Du!
Und so ist Petersons Formel: Der junge Mann braucht eine Aufgabe und ein Ziel, und die Rettung des Westens liegt nahe, denn der Westen und der junge Mann, den Peterson wieder aufbauen will, bedingen sich gegenseitig. Der Westen ist in Petersons Augen genauso gut organisiert wie die Gemeinschaft des Hummers. War er zumindest. Bis die postmodernen Feministinnen gekommen seien und alles gleich machen wollten, so erklärt Peterson in seinen Vorträgen namens „Postmodernism and why it must be fought“. Es dauert nie lange, bis Petersons Ansprachen zu Tiraden werden.
Um nochmal kurz bei den Hummern zu bleiben: Bei denen gibt es eine natürliche Hierarchie, die niemand in Frage stellt. Biologie ist Biologie. „Unterdrücken männliche Hummer weibliche Hummer?“, fragt Peterson in seinem Buch. „Sollte ihre Hierarchie beendet werden?“
Männer seien immer an der Macht gewesen und das sei bei allen Tieren, bei denen die Weibchen durchschnittlich kleiner sind als die Männchen, auch so. Das ist Petersons Behauptung und seine Rechtfertigung männlicher Herrschaft. Frauen, die mit Mitte 20 keinen Kinderwunsch haben, nennt er „psychologisch falsch orientiert“. Seine sexistischen Aussagen liegen derart auf der Hand, dass man sich fragt, warum Newman nicht eine davon herausgegriffen hat. Peterson kämpft gegen das Chaos an, das ewig Weibliche, wie er es nennt, das der Mann wieder in den Griff kriegen soll.
Lobend schreibt die New York Times, Peterson biete Selbstbehauptungstraining für Männer, die die Gesellschaft zu entmannten Schneeflocken machen wolle. Ja, genau, der Satz steht in diesem Artikel. Denn auch die New York Times, zumindest der eine konservative Kolumnist weiß ganz genau, wer die Gesellschaft heimlich dominiert und von innen zerstört: Diejenigen, die Männer entmannen und die bisherige, die natürliche Ordnung in Frage stellen. Dass dieser Glaube sich gerade jetzt so verbreitet, scheint paradox, wird er doch allein durch die Tatsache widerlegt, dass jemand wie Trump regiert und zwar regiert, wie er will und ganz im Sinne all derer, die sich im Kulturkampf wähnen.
Trump hat das Feindbild aber nur befeuert, und so funktioniert die Liaison zwischen den konservativen Kolumnisten bis zur Altright-Bewegung besser denn je. Ihr Feind ist nicht nur der postmoderne Feminismus. Peterson nennt ihn auch „Neo-Marxismus“, andere Konservative sprechen von „Kulturmarxismus“. Die Theorie hinter diesem Feinbild geht so: Marxisten hätten in den 70er Jahren realisiert, dass es die Spaltung in Bourgeoisie und Proletariat wegen des Fortschritts in der westlichen Welt nicht mehr gibt. Die westliche Zivilisation würde also deren Annahmen widerlegen. Deshalb müssten die Marxisten bzw. Neo-Marxisten nun, um ihre Annahmen zu erhalten, die westliche Zivilisation zerstören. Deshalb würden sie den Westen schlecht machen und behaupten, er basiere auf Unterdrückung, auf Unterdrückung von Frauen, Schwarzen und so weiter. Deshalb würden sie gegen weiße Männer und die Kernfamilie kämpfen, zuerst an den Universitäten und schließlich im ganzen Land.
Antirassismus? Frauenquote? Transgender Rechte? Das ist damit alles postmoderner Neo-Marxismus für Peterson und seine Freunde.
„Und da sind wir jetzt. In ihrem Kampf um die Macht. Und wenn Du einer derer bist, die sie als Unterdrücker ausmachen, dann nimm Dich in Acht. Denn Du bist bei ihnen nicht willkommen, genauso wenig wie Deine Ideen“, ruft er ihnen zu, den jungen weißen Männern. Philosophen wie Jacques Derrida seien die Vordenker der postmodernen Neo-Marxisten, die gegen die westliche Zivilisation hetzen, obwohl sie selbst von ihr profitieren würden. „Wenn Du verbittert bist über alles um Dich herum, obwohl es Dir gut geht, dann stimmt was nicht“, sagt Peterson in seinem Vortrag. Der schwarzen Community in den USA etwa gehe es im globalen Vergleich überhaupt nicht schlecht. Was soll also das Gejammer, fragt sich Peterson.
Weiße seien privilegiert? Eine neo-marxistische Behauptung, so Peterson. Natürlich gäbe es Privilegien und alle sollten daran arbeiten, Privilegien zu erhalten und sie zu bewahren. Die Vorstellung aber, Weiße seien gegenüber Schwarzen privilegiert, sei rassistischer als alles andere. Wer mehr darüber erfahren wolle, solle über die Gulags lesen in der Sowjetunion, wo alle Farmer, die hart gearbeitet hätten, umgebracht worden seien, weil man ihnen unterstellte, dass ihr Reichtum auf Kriminalität basiere.
So springt und argumentiert jemand, der im so genannten „Neo-Marxismus“ seinen Feind erkennt.
Der durch und durch neoliberale Individualismus, den er predigt, blendet historisch gewachsene Herrschaft und strukturelle Ungleichheit nicht nur aus, jede Kritik an ihr wird seiner Logik zur Gefahr. Schließlich geht es hier, bei Peterson und all seinen Anhängern nicht primär um verarmte Unterschichtsmänner, genauso wenig wie bei Trump. Es geht um die Besitzstandswahrung derer, die vor Frauenquoten und Antidiskriminierungsgesetzen die Posten unter sich aufteilen und der Sekretärin den Hintern tätscheln konnten. Eine Journalistin schrieb nach den Reaktionen auf das Channel 4-Video und der Häme der Journalistin gegenüber: Das sei der Me-Too-Backlash.
Peterson ruft auf zum Kampf gegen alles, was die Menschen angeblich gleich machen will. Die Geisteswissenschaften und Großteile der Sozialwissenschaften hätten sich in einen postmodernen, neo-marxistischen Spielplatz für Radikale verwandelt. „Sie alle hier finanzieren diese Agenda über Steuern“, ruft er dem Publikum entgegen. Gender Studies gehören abgeschafft! Das erziehungswissenschaftliche Institut von Ontario sei jenseits der Human Rights Commission die gefährlichste Institution in ganz Kanada!
Mit der Altright-Bewegung will Peterson natürlich nichts zu tun haben. Und doch hat er nichts dagegen, dass die jungen Rechten seine Videos schauen. Er will sie schließlich zurück auf den richtigen Weg bringen. Auch dafür lieben ihn die Konservativen: Seitdem Trump an der Macht ist, fürchten viele Republikaner, ihre Parteimitglieder würden in Zukunft weniger aussehen wie Ronald Reagan, sondern eher den geschmacklosen Nerds von 4chan gleichen. Peterson aber wird die „lost boys“ retten. Jetzt räumen sie erstmal ihre Zimmer auf.