Die Landtagswahlen haben erneut gezeigt: Die Strategien der AfD gehen auf. Der Nährboden ist da. Und die Gefahr für die Demokratie und alle, die nicht ins rechte Weltbild passen, wird immer größer.
Oktober 2023
Der Anfang ist gemacht, sagt der junge Mann in das Mikrophon von Anna Stiede. Die Künstlerin und Aktivistin steht in Apolda auf dem Marktplatz, vor zwei Wochen wurde gewählt in Thüringen und sie fragt die Menschen, wie es ihnen geht mit den Ergebnissen. Und das, was der Mann zu Stiede sagt, spiegelt die Siegesgewissheit der Rechten.
Die drei Landtagswahlen, in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, haben belegt, was sich schon in der Europawahl zeigte: Die AfD hat stark zugelegt. Sie gewinnt an Einfluss und die Art, wie sie ihn geltend macht, verstärkt nur ihren Erfolg.
Die Rede vom Rechtsruck ist zwar irreführend, vermittelt sie schließlich, die Gesellschaft sei mit einem Male nach rechts gerückt, als seien Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus vom Himmel gefallen, als gäbe es für sie keine Gründe und keine Kontinuität. Und doch hat der Einzug der AfD in die politischen Ämter eine Zäsur dargestellt. Und die weitere Etablierung der rechten Partei bedroht demokratische Strukturen und gefährdet Migrant*innen, jüdische Menschen, BIPOCs, Menschen mit Behinderung, Queers und linke Menschen.
Aufstieg der AfD
2013 wurde die AfD als Anti-Euro-Partei im Westen gegründet, deutschlandweit konnte sie punkten, als sie 2015 zu ihrem großen Thema fand: Die vermeintliche Bedrohung des Landes durch die sogenannte „Umvolkung“. Sie machte sich zum Profiteur der rassistischen Protestwelle gegen Merkels angeblich liberale Migrationspolitik. Einwanderung sei nur durch den Geburtskanal deutscher Frauen erlaubt, so das Credo. Als zweites Leitmotiv diente der AfD der Kampf gegen alles, was das traditionelle Familienmodell und damit den Erhalt des als homogen imaginierten deutschen Volkes bedrohe: ‚Gender-Wahn‘, Feminismus, Schwangerschaftsabbrüche. Damit gewann die AfD auch religiöse Fundamentalist*innen für sich. Seit 2018 ist die Partei in allen deutschen Parlamenten in Bund und Ländern vertreten.
Strategien
Die AfD setzt auf Zermürbung und Einschüchterung von politischen Gegner*innen. In der Opposition nutzt sie kleine Anfragen, vor allem um die Förderung von Initiativen gegen rechts zu delegitimieren, aber auch von Kulturprojekten gerade auf dem Land. Gegen (linke) Kulturschaffende geht sie mit Klagen vor, schon 2015 etwa gegen den Regisseur Falk Richter und dessen Stück „Fear“ an der Schaubühne in Berlin. Er gewann zwar den Rechtsstreit, aber hatte danach zu kämpfen, wieder an Aufträge zu kommen. Die AfD sieht es auch auf die Selbstzensur des Kulturbetriebs ab. Die erlebt auch die Künstlerin Anna Stiede, die in Thüringen aufgewachsen ist, in Berlin wohnt und seit einigen Jahren Kulturprojekte an verschiedenen Orten im Osten durchführt. Kurz nach den Anti-AfD-Demos Anfang 2024 sei das Interesse groß gewesen, sie auf Podien zu hören etwa dazu, wie es war als Linke im Osten der 90er Jahre. Doch kaum war die Protestwelle gegen rechts abgeklungen, habe die Angst wieder um sich gegriffen und eindeutige Positionierungen von großen Institutionen bleiben nun aus. Überall, wo sie schon regiert, macht die AfD emanzipatorische Errungenschaften wieder rückgängig. Der Stadtrat von Bautzen in Sachsen etwa hat in seiner ersten Sitzung der neuen Legislatur sogleich die Absetzung der Integrationsbeauftragten und die Auflösung des Amtes beschlossen. Die Partei greift Antidiskriminierungsstellen und Programme zur Förderung sexueller Vielfalt an. Schon 2023 startete die AfD Sachsen die Kampagne „Vorsicht! Genderwahn im Schulunterricht“. Sie lässt gleichzeitig rechtsextreme Kräfte in die Zivilgesellschaft, in staatliche Institutionen und bürgerliche Vereine einsickern.
Nährboden
Der größere Erfolg der Partei im Osten hat Gründe, die materielle Schlechterstellung etwa — der Paygap zwischen Ost und West beträgt 20 Prozent, der Wohnraum in Leipzig gehört größtenteils Westdeutschen. Die AfD und auch das Bündnis Sahra Wagenknecht beherrschen es, die Wut auf den Westen zu schüren. Jenes Ressentiment ist mit der Ablehnung von allem „Woken“ eng verwoben und gerade letzteres ist auch den Ideologien geschuldet, die nie überwunden waren — nirgends in Deutschland. Sexismus, Rassismus und Antisemitismus waren seit Jahrzehnten zu einem bestimmten Grad verbreitet.
In Sachsen haben Politiker*innen aus dem Westen die rechten Diskurse noch gefördert: Nach der Wende kamen CDU-Politiker aus Baden-Württemberg in die Ämter und verkündeten, Sachsen sei immun gegen Faschismus, während Nazis ihre Netzwerke ausbauen konnten.
Auch in manchen Gegenden im wohlhabenden Süddeutschland wählten die Menschen bei der Europawahl im Juni um die 20 Prozent rechtsextrem. Der Nährboden war immer da. Dass antifeministische, antimuslimische und autoritäre Ansichten nun deutschlandweit zugenommen haben, liegt auch daran, dass der Plan der AfD aufgeht.
Ihre rechtspopulistische Strategie ist, Kritik an ihr als antidemokratisch zu delegitimieren. Franziska Schutzbach fasst diese Rhetorik so zusammen: Der alte Rechte sagt: „Ausländer raus.“ Der neue Rechte fügt hinzu: „Wenn wir das nicht mehr sagen dürfen, ist die Demokratie in Gefahr“. Das Narrativ der Zensur, die Behauptung, linke, feministische und antirassistische Aktivist*innen würden andere zensieren, griffen in den vergangenen Jahren auch liberale Journalist*innen auf. Zu oft sind sie bereit, mit den Rechten zu reden, und immer wieder reden sie ihnen dabei nach dem Mund. Genauso taten und tun es andere Politiker*innen: Sie kommen den Forderungen der AfD nach.
Sukzessive Verschiebung nach rechts
Am deutlichsten wird das im Umgang mit Geflüchteten. Ende 2018 sagte Friedrich Merz erstmals, wir müssten bereit sein, „über das Asylgrundrecht offen zu reden“, das Recht auf Asyl also grundsätzlich zur Disposition zu stellen. Ein Satz, wie das Medien-Magazin „Zapp“ im NDR damals analysierte, der ein paar Jahre zuvor noch unsagbar schien — und der auch 2018 noch für Empörung sorgte. Nun, 2024, ist das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft. Wo beiben die Proteste?
Die Legitimierung rechter Positionen hat gravierende Folgen: Im Brandenburger Landtag sitzt nun keine einzige Partei mehr, die sich für den Schutz marginalisierter Menschen ausspricht. Die Linken und die Grünen sind raus. Und die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt berichtet, dass sich seit einem Jahr immer mehr rechte Jugendgruppen bilden, die alle bedrohen, die nicht in ihr Weltbild passen. Gerade unter jungen Leuten hat die AfD in ganz Deutschland gepunktet. Wie Studien zeigen, liegt das am Abbau sozialer Infrastruktur und an Vielfachkrisen, die Angst vor der Zukunft machen — die AfD arbeitet genau mit jener Angst, während sie gleichzeitig den Abbau der Infrastruktur vorantreibt. Es liegt auch an rechter, verschwörungstheoretischer Hetze, die auf den großen profitorientierten Internet-Plattformen besonders gut funktioniert. Und es liegt ebenso daran, dass der Widerstand zu klein ist.
„Man redet nicht mit Arbeitskolleg*innen darüber, man will ja nicht, dass es auseinander geht“, sagt eine Frau in Apolda zu Anna Stiede.
Man will Streit vermeiden, lässt das Thema lieber ruhen.
Dabei ist es allerhöchste Zeit für Streit, sagt Anna Stiede. Es ist Zeit für alle, die noch Spielräume haben, sie zu nutzen, zu kämpfen dafür, dass andere sie wieder bekommen oder überhaupt endlich erlangen. Es ist Zeit, aufzuklären über die abstrakten Herrschafts- und Konkurrenzverhältnisse, die der Kapitalismus erschafft, und dabei völkisches, antifeministisches und rassistisches Denken zurückzudrängen. Für mehr Solidarität unter den Menschen zu streiten.