Ein Vater, eine Mutter,
Frankfurter Allgemeine Quarterly
September 2017
Die bürgerliche Kleinfamilie ist schon lange passé. Heute sind Frauen Vorstandsvorsitzende und Bundeskanzlerinnen, Scheidungen normal, Patchwork-Familien auch, und wer es mag, liebt viele. Und seit Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen und die Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung entwickelt wurden, gibt es auch Regenbogen- und Inseminationsfamilien, wie es in der Familienforschung heißt. Neu ist ein Begriff, der ganze Internetseiten füllt: Co-Parenting.
Manche nutzen ihn, wenn Mann und Frau sich zusammentun, um ein Kind zu bekommen, ohne dass sie sich lieben oder Sex miteinander haben wollen. Andere meinen damit, dass mehr Menschen für die Kinder verantwortlich sind als nur die beiden leiblichen Eltern. Es ist ein Oberbegriff für alle möglichen Arten, Kinder zu haben – jenseits der Kleinfamilie, jenseits von Vater, Mutter, Kind. In der Wissenschaft wurde Co-Parenting in den Vereinigten Staaten schon in den späten sechziger Jahren verwendet, um die Unabhängigkeit der Elternschaft von der Ehe zu beschreiben. Wikipedia versteht darunter heute eine postmoderne Art, Kinder zu bekommen. Die Postmoderne war auch immer das Versprechen auf die Befreiung von allen Begrenzungen, gesellschaftlich und biologisch. Dass die Menschen den Begriff nun wählen für das, was sie ohnehin schon machen, und das mal Patchwork hieß, mal Regenbogenfamilie, zeigt die neue Lust auf diese Formen.
Co-Parenting steht für ein neues Selbstverständnis: Die alternativen Familienmodelle gelten nicht mehr als Notlösung, sondern als selbstbestimmte, aus Überzeugung gewählte und gewünschte Lebensmodelle. Auch die Politik passt sich an: In den Niederlanden, wo sich Menschen mit Kinderwunsch seit ein paar Jahren auf Co-Parenting-Seiten im Internet treffen, sollen bald bis zu vier Menschen für ein Kind juristisch verantwortlich sein können, auch vier Männer etwa.
Diese Entwicklung macht manchen Angst. Konservative Kommentatoren sehen Co-Parenting als Ausdruck des allgemeinen Niedergangs, als das Ende der Familie. Familie heißt für die Forschung aber nur, dass eine Generationenbeziehung besteht, die ein besonderes Verbundenheitsgefühl umfasst: Der Nachwuchs braucht nicht das gleiche Genmaterial wie die Eltern zu haben, und die müssen kein Liebespaar sein und nicht Mann und Frau, um Kindern Geborgenheit und Vertrauen zu bieten und sie zu sozialen Wesen zu erziehen – Eltern müssen dafür wohl einfach selbst glücklich sein.
Hier porträtieren wir Familien, die zeigen, wie der Zusammenhalt jenseits der bürgerlichen Ordnung funktioniert: Kinder, die zwei Mamas und zwei Papas haben, wie Nell und Mia, oder Mama und Papa, die Sex nicht miteinander, sondern mit anderen haben, wie Milla, eine ganze Müttergruppe, wie Tobias, oder eine Neuner-WG, wie Elsa.