Bild: Albumcover „Dirty Computer“

Eben war sie noch vor allem der Liebling der Kritik, jetzt wird sie zum Star: Janelle Monáe zeigt auf ihrem neuen Album „Dirty Computer“ und mit den Videos zu ihren Songs, wie Geschichte und Gemeinschaft, Cyborgs und Afrofuturismus, wie Pop und Politik zusammengehen

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Mai 2018

Die Grammy-Verleihung war dieses Jahr so politisch wie nie zuvor, hieß es überall, und das hatte man ihr zu verdanken: Janelle Monáe, 32. In einem schwarzen Smoking, bestickt mit bunten Blumen, trat sie Ende Januar auf die Bühne und sagte: „Denen, die es wagen, uns zum Schweigen zu bringen, entgegnen wir zwei Worte: Time`s up. Wir sagen: Die Zeit ist vorbei für ungleiche Bezahlung. Die Zeit ist vorbei für Diskriminierung, für Belästigung jeglicher Art. Und die Zeit ist vorbei für Machtmissbrauch. Das passiert nicht nur in Hollywood, das passiert nicht nur in Washington. Es passiert genau hier, in unserer Branche.“
Vor drei Tagen, am 27. April ist Janelle Monáes neues Album „Dirty Computer“ erschienen, das erste Album seit fünf Jahren, seit „The Electric Lady“. Die 14 Lieder und besonders die Musikvideos von vier Single-Auskopplungen, die es davor im Netz zu sehen gab, beweisen, was sich spätestens bei den Grammys andeutete: Dass Monáe zum progressivsten Popstar dieser Zeiten wird. Mit ihrem neuen Album hat sie Hits geschaffen, wie sie in ihrem Werk bislang fehlten, und diese Hits sind emanzipatorischer und hedonistischer als alles andere, was sich in den Charts je finden ließ.
Seit ihrer ersten EP „Metropolis“ von 2007 und dem folgenden Album „The ArchAndroid“ geht es ihr um Geschichte und Gemeinschaft, Cyborgs und Afrofuturismus. Kritiker liebten sie schon damals, richtig bekannt wird sie erst jetzt: Der 33-Sekunden-Trailer zu „Dirty Computer“ lief in den USA seit Mitte Februar im Kino vor „Black Panther“ und die zwei ersten Single-Auskopplungen „Django Jane“ und „Make me feel“ wurden in ein paar Wochen auf YouTube gleich mehrere Millionen Mal angeklickt.
Sie deuteten schon die Richtungen an, in die das Album geht. „Django Jane“ ist eine rebellische Hymne, ein gerapptes Manifest gegen Sexismus im Allgemeinen — „Schalt auf stumm und lass der Vagina den Monolog“, heißt es im Text — und für schwarze Frauen im Speziellen: „Black girl magic, y’all can’t stand it“. Sie fragt: „What`s a wave, baby? This is a tsunami“, bezieht sich auf die Unterteilung von Feminismus in First und Second Wave und prophezeit: Der Feminismus wird das Bestehende hinwegfegen. Monáe wendet sich gegen alle Formen der Herrschaft, gegen Rassismus und Ausbeutung, singt von ihrer Herkunft aus der Arbeiterklasse und trägt im Video einen Smoking, ihre Uniform, wie sie sagt, mit der sie all diejenigen würdigt, die sich bei der Arbeit uniformieren müssen. Ihr Smoking ist auch immer die Entscheidung, sich nicht in die binäre Geschlechtermatrix zu fügen — im Lied heißt es: “Remember when they used to say I looked too mannish.“
Die zweite Single-Auskopplung greift diese Entscheidung auf und ist musikalisch ganz anders. „Make me feel“ ist ein Disco-Hit mit einem Gitarrenriff, das an „Kiss“ von Prince erinnert, und einem Video, das klar macht, worum es hier geht: Freiheit und Begehren zu feiern. In einer farbenfrohen Clubfantasie flirtet Monáe zwischen der Schauspielerin Tessa Thompson und einem Typen hin und her.
In der Vergangenheit hat die Sängerin vermieden, sich sexuell zu positionieren, und Fragen nach ihren Vorlieben als zu privat abgewiesen, allgemein davon gesprochen, dass Liebe kein Geschlecht kenne, oder gesagt, sie begehre nur Androide. Gerade deshalb hat das Video im Internet für Aufruhr gesorgt: Das sei ein Bekenntnis! Schwarze bisexuelle Freude pur!
Und auch wenn Monáe in einem Badeanzug auf allen vieren zwischen mehreren bunten Beinen in Stilettos krabbelt, ähnlich wie St. Vincent in „New York“, oder zwischen sechs Frauen in kurzen Hotpants tanzt, objektivieren die Bilder die Körper nicht. Monáe ordnet sie an und bedient sich dabei genauso schamlos bei anderen Künstlern, ohne unhöflich oder übergriffig zu sein. Der Clip ist nicht zum Vergnügen für Typen gemacht, hier tanzen die Frauen für sich und Monáe.
Der queerste Shit, den es auf YouTube je gab, schrieben postmoderne Feministinnen begeistert. Monáe lächelte und stellte ihr nächstes Video online, „PYNK“, und es ist die Steigerung des Superlativs. Grimes, die kanadische Elektro-Pop-Künstlerin, die fast so futuristisch ist wie Monáe, hat ihre Elfen-Stimme in die Hintergrund-Gesänge gemischt, und herausgekommen ist ein schlüpfriges, frohlockendes R&B-Stück mit 60er Jahre Jazz- und Funkspuren. Ein Must-Hear-Girl-Power-Anthem hieß es im Guardian, während das Internet schon wieder wegen des Videos ausflippte, das so neu und anders und erotisch ist, tausend explizite und implizite Anspielungen enthält und innerhalb von einer Woche fast fünf Millionen Mal aufgerufen wurde. Monáe und drei andere schwarze Frauen fahren darin zu Beginn in einem rosa Cadillac, oder dem, was man sich darunter vorstellt, durch eine rosa-pinke Landschaft, es ist heiß und staubig, und die Büsche, die Berge, der Himmel und der Sand sind pink. Und da taucht ein Holzhaus in der Wüste auf, ein Lokal mit der Aufschrift „Last Chance“ und einer Eisdiele, vor dem eine andere Frau steht, weiße Stiefel, rosa Hotpants, pinkes, knallenges T-Shirt, die mit den Fingern zu schnipsen beginnt. Das ist der erste Beat und noch viel mehr Frauen in bunten Klamotten, in wenig Klamotten, mit Hüten, Piercings, Sonnenbrillen, mit üppigen Schenkeln, dünnen Beinen, Brüsten, Bäuchen und unrasierten Büschen sitzen schon am Pool und tanzen im Haus. Alle singen zusammen: „Pynk is the color of my… baby.“ Und Monáe ist mittendrin. Und gleichzeitig in der Wüste draußen mit einer Hose, die im Internet Vagina-Hose heißt, in der Monáes Beine aussehen wie riesige Schamlippen. Zwischen ihnen taucht dann der Kopf von Tessa Thompson auf, die schon bei „Make me feel“ mitspielt, doch alle Vermutungen, sie sei die Freundin von Monáe, sind überflüssig. In dieser pinken Utopie sind sowieso alle polyamourös. Oder auch nicht. Männer jedenfalls gibt es keine. Sie kommen nur insofern vor, als dass es heißt, es sei cool, dass boys „blau“ hätten, wir hätten schließlich „pynk“. Das Lied ist ein ungestümes Fest der Schöpfung, sagt Monáe, der Selbstliebe, des Sex` und der Pussy Power. Pink sei die Farbe, die uns alle verbinde, die man in den tiefsten und dunkelsten Rissen und Falten der Menschen fände, dort, wo die Zukunft geboren wird.
Wer sollte da bitte noch blau wollen?
Und doch ist Monáe natürlich auch blau, sie ist Dandy und Diva und man will jedes ihrer Videos in Dauerschleife schauen. Schauspielern kann sie schließlich auch, bei „Hidden Figures“ und „Moonlight“ war sie schon in Hauptrollen zu sehen, aber erst die Bilder, die sie selbst konzipiert und komponiert, berühren maßlos und scharf. Die Grenzen zwischen inszeniert, ironisch und authentisch verwischen, wenn sie sich vor die Kamera bringt, und gleichzeitig zeigt sie gerade mit diesem neuen Album, dem gesamten Werk rund herum, so viel wie nie zuvor von sich. Von diesem Privaten, das gerade jetzt mehr denn je Munition und Territorium ist. Und dafür liebt man dann auch Amerika noch einmal mehr, denn es hat nicht nur Trump, sondern auch Monáe.
Und die weiß: We will win this fight. Das singt sie zu Beginn von Americans, dem letzten Track auf dem Album, dick und schnulzig, bevor der Beat einsetzt, sich Pop und Hip Hop vereinen. „Don’t try to take my country, I will defend my land, I’m not crazy, baby, naw, I’m American.“ Und schon nach dem ersten Hören hüpft man mit und die Zeilen gehen nicht mehr raus aus dem Kopf. Dann ertönt eine Stimme, die wie Obama in seinen Reden klingt, und sagt: „Bis Frauen nicht das gleiche Gehalt für die gleiche Arbeit bekommen, ist das nicht mein Amerika. Bis schwarze Menschen nach einer Polizeikontrolle nicht nach Hause fahren können, ohne dass ihnen in den Kopf geschossen wird, ist das nicht mein Amerika.“ Das Album ist so dicht, so voll von Pop und Politik. Pharrell Williams hat auch mitgemacht bei einem Lied, aber Monáe braucht ihn nicht, allein ist sie besser. Oder mit Zoe Kravitz. Bei „Screwed“ begleitet sanftes Stöhnen den Beat, dazu ein bisschen Synthesizer und schon singen Monáe und Kravitz: „Sex, body, we`re gonna crush your party. Let`s get screwed.“ Screwed heißt, dass man verloren ist, im Arsch, oder aber sehr berauscht, screwed ist man, wenn man gerade Sex hatte. Und so singen die beiden Frauen Richtung Washington: Ihr fickt die Welt von heute, wir werden sie zurückficken. Und man hört Zoe Kravitz lachen und es ist das schönste Lachen, und Janelle Monáe, die sanft rappt: See, everything is sex. Ganz anders ist „So afraid“, das mit Gitarrenriffs beginnt, die an Nirvana Unplugged erinnern, und in einer Maria-Carey-artigen Ballade endet. Monáe kann das alles und mag das eben auch alles.
Das singt sie in „I like that“. Mit dem Video dazu drehte sie kurz vor dem Album-Release noch einmal weiter auf und die Botschaft war klar: Ich passe nicht in Eure Kategorien, aber ich mag das so, „I don`t really give a fuck if I was just the only one who likes that“. Janelle Monáe passt nicht rein, weder in eine Musikrichtung noch in irgendwelche anderen Identitäten, die den Menschen gewöhnlich zur Verfügung stehen. In diesem langsamen, weichen R&B Stück geht es anders als sonst in diesem Genre nicht um Liebhaber oder Partner, sondern um die Erotik und Romantik der Selbstachtung. „I like that“ schafft es, das sexuell aufgeladene Empowerment der drei anderen Musikvideos von „Make Me Feel“, „Django Jane“ und „PYNK“ noch einmal zu erweitern. Und wenn sie davon singt, wie Mitschüler sich über sie lustig machten, und hinzufügt, dass sie selbst damals mit Tränen in den Augen schon wusste: I was the shit, dann ist ihr Triumph pures Vergnügen.