Wissal Houbabi von NoUnaDiMeno und Jane Wangari von Women in Exile über die Kämpfe migrantischer und geflüchteter Frauen.

analyse&kritik 642
Oktober 2018

»In beautiful struggle we exist. In beautiful struggle we resist! Because we are anti-fascist, anti-racist and – even more – feminist! A rising storm, a raised fist.« So sprach Wissal Houbabi, Vertreterin der Bewegung NoUnaDiMeno von der Bühne der We’ll-come-united-Demonstration in Hamburg am 29. September. Warum migrantische Kämpfe für sie feministisch sein müssen, erklärt sie zusammen mit Jane Wangari von Women in Exile.

Ihr kommt gerade aus Hamburg von der We’ll-come-united Demo, wo ihr feministische migrantische Kämpfe vertreten, also explizit feministische Anliegen in die antirassistische Parade gebracht habt. Ein notwendiger Auftrag?

Wissal Houbabi: Leider ja. Eigentlich müssten Feminismus und Antirassismus längst zusammengehen. Aber gerade in antirassistischen Bewegungen wird oft Sexismus, der eigene Sexismus nicht adressiert, weil das für die Aktivistinnen nicht der Fokus des Kampfes ist. Typen in den Bewegungen müssen lernen, ihre eigene Positionierung als Männer zu reflektieren.

Jane Wangari: Women in Exile wurde genau deshalb gegründet: Weil die selbstorganisierten Proteste von Geflüchteten bis dato sexistisch waren, weil eben die spezielle Situation von Frauen und queeren Menschen nicht berücksichtigt wurde, weil sie keine Stimme hatten im Kampf gegen Rassismus und das repressive Asylsystem. Women in Exile wollte deshalb auch von Anfang an ein Netzwerk aufbauen, mit anderen Gruppen zusammenarbeiten, die in den hegemonialen migrantischen Bewegungen nicht repräsentiert sind, mit queeren Gruppen, mit lesbischen Gruppen.

W.H.: Dass die Kämpfe verbunden werden müssen, ist uns durch unsere eigene Biographie immer schon klar gewesen. Wir können es uns ja gar nicht aussuchen, entweder mehr gegen Sexismus oder mehr gegen Rassismus zu kämpfen. Mein Feminismus war immer intersektional, weil meine Erfahrung das gar nicht anders zuließ. Ich wurde in Marokko geboren, bin in Italien aufgewachsen. Ich bin eine Frau und ich werde als Migrantin betrachtet.

Wie intersektional ist die Perspektive von NoUnaDiMeno, inwieweit kannst du deine Perspektive in der Bewegung vertreten?

W.H.: NoUnaDiMeno skandalisiert Gewalt gegen Frauen, die überall auf der Welt permanent stattfindet und eben nicht deren Privatsache ist, sondern ein strukturelles Problem darstellt. Ein Drittel aller Frauen in Italien erfährt permanent physische, psychische oder sexuelle Gewalt im Nahraum, also im alltäglichen Umfeld, durch den Partner, den Kollegen, den Kommilitonen oder im Fall von geflüchteten Frauen etwa durch den vermeintlichen Sicherheitsbeamten. Migrantinnen sind am häufigsten betroffen, sie sind am verwundbarsten. Und zwar auf verschiedenen Ebenen. Der italienische Staat verstärkt zum Beispiel durch seine Gesetze patriarchale Strukturen innerhalb der Familien, wenn er den Aufenthaltsstatus daran bindet, Arbeit zu haben oder aber mit jemandem verheiratet zu sein, der Arbeit hat. Der Status meiner Mutter hing immer an der Beziehung zu meinem Vater. Und der ließ nicht zu, dass sie sich selbst Arbeit suchte, deshalb hatte sie keine eigenen Dokumente. Diese Situation macht die Frauen permanent erpressbar für Männer – und das erschwert es, sie zum Widerstand dagegen zu bewegen. Bei NoUnaDiMeno arbeitet eine Gruppe, selbst nur Migrantinnen, speziell zur Situation migrantischer Frauen. Zum Beispiel von Frauen, die vor Gewalt fliehen, die von ihren Männern in Europa oder von männlichen Refugees auf der Flucht oder in den Unterkünften misshandelt werden.

Eine Genossin von dir brachte das in einem Tweet auf den Punkt: »Migration is a Feminist Issue.« Auch in Deutschland ist die Situation in den Geflüchtetenunterkünften für Frauen besonders brutal. Ihr von Women in Exile wart gerade wieder auf Tour, diesmal vor allem in Bayern.

J.W.: Die Bustour machen wir, um Frauen in den Lagern zu empowern und ihnen die Notwendigkeit der Selbstorganisation näher zu bringen. Und auch um einen Überblick, über ihre Situation zu erlangen. Und ja, diesmal waren wir vor allem in Bayern, wo es ja schon Seehofers Ankerzentren gibt. In Bamberg war es am schlimmsten. 1.000 Frauen sind dort mit Männern zusammen in ein Lager gepfercht, die Türen haben keine Schlösser, es gibt keinen Schutz, keine Intimsphäre für sie. Jeder kann permanent hereinkommen, wenn sie sich gerade umziehen, oder wenn sie schlafen. Sexuelle Übergriffe sind dort Alltag. Es gibt auch viele kleine Kinder, die krank sind – aber nur einmal die Woche kommt ein Kinderarzt und kann so natürlich nicht alle behandeln. In der Nähe von Regensburg war es auch nicht besser, da waren wir in einem Ankerzentrum, aus dem niemand raus konnte. Das war wie ein richtiges Gefängnis. Und dort sind auch schwangere Frauen eingesperrt, die ihre Kinder dort gebären müssen, ganz allein, ohne Hebammen.

Alle Erfolge, die der Refugee Protest von 2012 an erzielt hat, scheinen wie weg gewischt. 2012 hatten Geflüchtete erst mit einen Protestmarsch und dann mit dem berühmten Camp am Berliner Oranienplatz genau gegen diese Lagerunterbringung gekämpft. Allen voran Frauen.

J.W.: Genau, unser Protest hatte damals Verbesserungen erreicht, es wurde bereits über neue, dezentrale Arten der Unterbringung diskutiert, erst recht für Kinder und Frauen. Seit 2015 wird das alles wieder rückgängig gemacht. Die Residenzpflicht wird wieder eingeführt, das Gutscheinsystem auch, und die Diskriminierung im Gesundheitssystem nimmt zu. Alles ist für Asylsuchende in Deutschland noch schlimmer geworden als es vor 2012 war.

In Italien ist es nicht anders: Leute, die rassistische Ideen vertreten, haben immer mehr politischen Einfluss. Was sind die Folgen?

W.H.: Gerade wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Situation von Geflüchteten noch schlimmer macht. Bislang gab es drei verschiedene Statusgruppen, die Bleiberecht hatten: Die Menschen haben entweder Asyl bekommen, humanitären Schutz oder subsidiären Schutz. Jetzt aber wurde das Recht auf humanitären Schutz einfach abgeschafft. Mindestens 40.000 Menschen, die diesen Status hatten, sind davon betroffen. Sie werden illegalisiert. Eigentlich müssten sie jetzt abgeschoben werden, aber das ist wirtschaftlich nicht lukrativ. Deshalb sind sie einfach weiter da, haben aber keine Rechte mehr. Sie sollen unsichtbar werden. Gleichzeitig legitimieren unsere aktuellen Politiker Gruppen von Faschisten, nachts durch die Nachbarschaften zu ziehen und sich dort als Bürgerwehr aufzuspielen, um Migrantinnen und Migranten zu jagen. Und von denen sind ja immer mehr auf der Straße, wenn ihnen der Status aberkannt wird. Dann haben sie weder die Möglichkeit zu arbeiten noch eine Wohnung zu mieten. So können sie noch besser von der Mafia ausgebeutet werden.

Nach den Recherchen der Journalistin Barbie Latza Nadeau verlagert die Mafia ihr Geschäft zunehmend vom Handel mit Drogen auf den mit Frauen aus Westafrika, die dann zur Sexarbeit gezwungen werden.

W.H.: Das sind die übelsten Verflechtungen. Es gibt auf Sizilien auch ein Frauenlager, in dem die Leitung die Frauen zwingt, auf Feldern zu arbeiten, zu ernten, und wenn sie nicht genügend arbeiten, werden sie sexuell missbraucht.

Diese Bedingungen werden durch die hiesige Bundesregierung mit geschaffen, die alles dafür tut, dass diejenigen, die in Europa Schutz suchen, nicht bis nach Deutschland gelangen.

J.W.: Denen ist lieber, wenn sie alle im Mittelmeer ertrinken. Das war das Gute an Hamburg, an der We’ll-come-united-Demo: Dass die verschiedensten Ebenen, auf denen die rassistische Mobilisierung gerade wirkt, thematisiert wurden, die Kriminalisierung der Seenotrettung, die Lagerunterbringung, die Zunahme rechter Gewalt.

Hat euch die Demo Hoffnung gemacht?

J.W.: Es ist natürlich ein gutes Zeichen, dass so viele auf die Straße gehen. WCU ist eine riesige Koalition aus unterschiedlichsten antirassistischen, feministischen, solidarischen Initiativen. Die Menschen arbeiten wirklich zusammen und überwinden die Gräben.

W.H.: Der Widerstand gegen den wachsenden Faschismus vernetzt sich. Wir brauchen ein transnationales Bündnis. Eine solche Zusammenarbeit ist ja auch eines der Anliegen des We’ll-come-united-Netzwerks.

J.W.: Sonst haben wir keine Chance gegen die rechtspopulistischen Entwicklungen. Es sind zwar viele Menschen solidarisch, auch Menschen, die selbst nicht von Rassismus betroffen sind – aber die Gegenseite wächst auch, und das bekommen wir täglich zu spüren, auch in Berlin, in Kreuzberg etwa. Eineinhalb Jahre habe ich hier gewohnt und nie etwas erlebt. Jetzt aber werde ich immer öfter bedroht und feindselig angeschaut.

W.H.: Die Gesellschaften polarisieren sich. Das Problem ist, dass die rechte Seite von der Regierung legitimiert wird. Die Faschisten sind der bewaffnete Arm der Regierung. Wir müssen deutlich machen, dass wir uns unsere Leben, unsere Solidarität nicht nehmen lassen, jetzt erst recht.